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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
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bessergehen. Vom Thronfolger hatte sie bisher noch nichts Gutes gehört. Außerdem sah er abstoßend aus. Von gedrungener Gestalt, mit dünnem und fahlem Haar und einem düsteren Blick. Mürrisch, rastlos und schlecht gelaunt, verbreitete er Missmut und Ärger, wo er auftauchte. Dass Marguerite ihm nicht dieselben Gefühle entgegenbrachte wie Jeanne Philippe, verstand sie nur zu gut. Dennoch hatte sie bestimmt kein Recht, den Thronfolger zum Hahnrei zu machen.
    »Ich mache mir Sorgen um seine Gesundheit«, unterbrach Jeanne ihre Überlegungen, und Séverine bemerkte erst jetzt, dass Philippe sich bereits verabschiedet hatte. Der größte Teil des Haushaltes war ihm gefolgt. Nur sie und Jacquemine saßen noch bei Jeanne. »Er sieht aus, als stehe er kurz vor einer Schmerzattacke. Er sollte ruhen, bis es ihm wieder bessergeht, statt sich mit seinen Brüdern herumzuschlagen.«
    »Es hat aber keinen Sinn, wenn du dir über seine Probleme den Kopf zerbrichst.« Es kam selten vor, dass Jacquemine in den mahnenden Tonfall der Kinderfrau zurückverfiel. »Weise den Kaplan an, dass er für seine Heiligkeit betet, und mach dir Gedanken, wer aus deinem Gefolge nach Maubuisson reisen soll. Die Königin von Navarra und Blanche werden alles daran setzen, Isabelles Neid zu erregen.«
    Spontan wandte Jeanne sich an Séverine, die ihr eine Silberschale mit gezuckertem Konfekt reichte.
    »Du wirst mitkommen«, beschloss sie. »Ich brauche in Maubuisson einen fröhlichen, unverbogenen Menschen, der zu mir steht und nicht von all den Intrigen beeinflusst ist. Adrien werde ich bitten, dich mit seinem Knappen zu beschützen. Dieser Julien scheint ein umsichtiger, pfiffiger Bursche zu sein. Es wird nicht viel Abwechslung dort geben. Außer dem Kloster der Zisterzienserinnen und reichen Jagdrevieren bietet das Schloss nur einen riesigen Park und ländliche Stille. Im Schloss selbst wird es wie in einem Hühnerstall zugehen. Isabelle wird uns mit ihrer spitzen Zunge plagen, wenn sie nicht gerade ihrem Vater in den Ohren liegt.«
    Jeanne fürchtete die Eintönigkeit der bewaldeten Idylle. Séverine dagegen durchströmte eine Woge des Glücks. Endlich würde sie die Mauern der Stadt verlassen. Sie sehnte sich danach, wieder einen Himmel ohne Dächer zu sehen, einen Himmel ohne den Rauch aus zahllosen Kaminen. Sie würde die Stille der Natur genießen können und den Ruf der Vögel hören.
    Adrien und Jeanne zuliebe hatte sie gegen das Heimweh angekämpft, aber die Aussicht, an ihrer Seite die Stadt zu verlassen, ließ alle Dämme brechen.
    »Ich freue mich so sehr«, sagte sie in ihrer offenen Art und lachte glücklich. »Ich dachte schon, ich würde nie wieder ein Pferd besteigen dürfen.«
    »Reiten?« Jacquemine schüttelte missbilligend den Kopf. »Damen reisen in einem Wagen und halten seine ledernen Vorhänge dicht geschlossen, um ihren Teint vor dem Staub und der Sonne zu schützen.«
    Hilfesuchend sah Séverine zu Jeanne. Hatte sie nicht Jagdreviere erwähnt? Zur Jagd wurden Pferde benötigt. Sie wagte nicht, weiter nachzufragen. Augenscheinlich machte sie sich Illusionen über den Verlauf dieser Reise.

[home]
Sechstes Kapitel
    V oller Neid auf die Reiter, die zu beiden Seiten das kastenartige Holzgehäuse auf Rädern begleiteten, hielt Séverine durch einen kleinen Schlitz in den Ledervorhängen Ausschau. Die Reiter hatten über sich den Himmel und die Sonne. Was machten da die Staubwolken schon aus?
    Mit fünf Edeldamen auf zwei Bänke gequetscht, litt sie unter der Enge, den Gerüchen und dem unregelmäßigen Schwanken des Wagens. Ihr war übel. Die Landstraße, die über Pontoise hinaus zur Küste weiterführte, war vom Regen ausgewaschen. In ihren ausgetrockneten Furchen wurde die Erde zu feinstem Staub gemahlen, der trotz aller Vorsichtsmaßnahmen ins Innere des Wagens drang und zwischen den Zähnen knirschte.
    Marguerite, Jeanne und Blanche reisten vor ihnen an der Spitze der Karawane in bequemen Sänften, die von Maultieren getragen wurden. Längst hatte sich der schier endlose Tross aus Menschen, Tieren und Wagen so weit auseinandergezogen, dass man ihn nicht mehr überschauen konnte.
    Der König führte seinen kompletten Haushalt mit, wenn er Paris verließ. Vom Teller bis zum Alkoven, von der duftenden Honigwachskerze bis zur Leibwäsche fehlte es an nichts, das zum gewohnten Komfort gehörte.
    Jacquemine hatte das
Hôtel d’Alençon
in Vorbereitung der Abreise in Aufruhr versetzt. Auf Séverine hatte es den Eindruck

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