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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
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unserem engsten Kreis. Es hätte noch mehr Fragen aufgeworfen, wären sie ausgeschlossen worden. Wir können nur auf die Vernunft von Marguerite und Blanche vertrauen. Wobei mir klar ist, dass Blanche manche guten Eigenschaften hat, aber besonders vernünftig ist sie sicher nicht. Man muss auf Marguerite hoffen. Lass uns gehen. Wir müssen wieder zurück in den Festsaal, man wird schon auf uns warten.«
    Der König hatte sich mit seinen drei Söhnen und seiner Tochter, abseits der Tafel, in einer Ecke des Saales zurückgezogen. Sie sprachen kein Wort, ihre Mienen wirkten finster.
    Jeanne beschlich Unbehagen. Sie nahm Séverine am Arm und flüsterte: »Bleib in meiner Nähe.«
    Sie gehorchte, obwohl sie eine innere Stimme drängte, den Saal wieder zu verlassen, aber das verbot sich, da es ganz und gar ungehörig gewesen wäre. Blanche und Marguerite hingegen lachten und scherzten. Offensichtlich entging ihnen der spürbare Wechsel der allgemeinen Stimmung zum Schlechteren.
    Der König gab seinen Kindern ein Zeichen und verließ mit ihnen den Saal. Spätestens jetzt wurde allen klar, dass etwas Außergewöhnliches im Gang sein musste.
    Die Hofgesellschaft löste sich zögerlich auf. Niemand wusste Näheres, aber Warten schien sinnlos. Jeanne und Séverine wandten sich ebenfalls zum Gehen, als Adrien auftauchte. Er verbeugte sich kurz vor Jeanne.
    »Würde es Euch etwas ausmachen, wenn ich Séverine kurz entführe? Ich möchte etwas Familiäres mit ihr besprechen. Es würde Euch langweilen.«
    »Ich verzichte nur ungern auf sie, aber natürlich schlage ich Euch die Bitte nicht ab. Geh nur, Séverine.«
    Jeanne klang abgelenkt. Ihre Gedanken überschlugen sich. Was war der Grund für den Rückzug des Königs? Warum brüskierte er die Frauen seiner Söhne, indem er sie von diesem Familientreffen ausschloss?
    Adrien legte Séverines Finger auf seinen Handrücken und führte sie aus dem Saal. Obwohl sie im ersten Augenblick zögerte – zwischen ihrer Pflicht, Jeanne zu dienen, und dem Wunsch, ihm nahe zu sein, hin- und hergerissen – gab sie nach.
    »Ich habe das Bedürfnis nach frischer Luft und Bewegung. Komm, wir machen eine Promenade über die Wehrgänge«, vernahm sie seine Aufforderung.
    Erstaunt beobachtete sie ihn unter halb gesenkten Lidern hervor. Ein nächtlicher Spaziergang mit Adrien? Um ihr was unter vier Augen zu sagen? Ihr gemeinsamer Ritt lag nur Stunden zurück. Die meiste Zeit davon hatte er geschwiegen. Warum suchte er jetzt erneut das Gespräch mit ihr? Um ihr endlich das Geheimnis ihrer Herkunft zu verraten? Seine Miene gab keinen Aufschluss.
    Die gedeckten Wehrmauern verbanden die einzelnen Flügel des Schlosses in luftiger Höhe. Zwischen Pechnasen und Zinnen waren sie in regelmäßigen Abständen mit Wächtern besetzt. Die Männer, deren leichte Harnische im Dunkel schwach glänzten, schenkten ihnen keine Aufmerksamkeit. Die Augen scharf in die Nacht hinaus gerichtet, konzentrierten sie sich ausschließlich auf die Kontrolle der Stadt, der Flussauen und der Straßen, die zum Schloss führten.
    Über ihnen trieb der Westwind Wolkenfetzen dahin. Bleiches Leuchten fiel auf die nächtliche Szenerie, je nachdem, wie sie die Mondsichel verhüllten und wieder freigaben. Ein rötlicher Widerschein von Fackeln und Laternen ließ die Stadt auf der anderen Seite des Flusses erahnen. In den Schänken und Herrenhäusern von Pontoise herrschte reges Leben. Dort feierten Einheimische, Engländer und der Rest des königlichen Hofes das Wiedersehen ausgelassener als die königliche Familie in Maubuisson.
    Séverine wartete vergeblich darauf, dass Adrien zu sprechen begann. Das Schweigen wurde nur von wenigen Geräuschen unterbrochen. Im Park pfiffen ein paar Käuzchen. Manchmal klirrte die Waffe eines Wächters gegen Mauersteine.
    »Man könnte meinen, wir wären allein auf der Welt«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu ihm.
    »Ich würde mich wohler fühlen, wenn es tatsächlich so wäre«, erwiderte Adrien trocken. »Du hast wie ich an der Tafel gesessen. Hattest du nicht auch das Gefühl, dass sich irgendetwas über unseren Köpfen zusammenbraut?«
    »Um mich das zu fragen, hast du mich hier heraufgeführt?« Séverine schluckte die Enttäuschung hinunter. Die
familiäre
Angelegenheit bezog sich auf den König und seine Kinder, nicht auf sie. Dennoch schmeichelte es ihr, dass ihm ihre Meinung wichtig sein sollte. »Du kannst solche Bankette besser beurteilen als ich. Für dich sind sie alltäglich. Für

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