Turm der Lügen
Leichtsinn und die Pflichtvergessenheit der Prinzessinnen aufbringen.«
»Können wir etwas tun?«
»Nein. Nichts«, stellte Adrien fest.
Julien meldete sich wieder zu Wort. »Niemand soll eine Möglichkeit bekommen, für sie ein Wort einzulegen. Der König berät sich nur im engsten Familienkreis. Seine Söhne, seine Tochter …«
»Dann sind sie verloren.«
Séverine wurde schwindelig im Wirbel der eigenen Gedanken. Mit eisiger Klarheit begriff sie, dass Adrien recht hatte. »Wer sollte aus diesem Kreis schon für sie sprechen? Was wirft man Jeanne überhaupt vor? Warum wehrt sich Philippe nicht dagegen, dass man auch seine Frau anklagt? Sie ist unschuldig.«
»Sie hat einen Vertrauensbruch begangen«, wandte Adrien heiser ein. »Sie hätte, als sie von einem Betrug solchen Ausmaßes Kenntnis erhielt, Philippe unterrichten müssen. Dass ihre Loyalität mehr der Schwester und der Base als dem eigenen Gatten gilt, muss ihn tief kränken. Er erwartet absolute Ergebenheit von denen, die zu ihm gehören. Ich kenne Philippe gut.«
Vom Kloster her setzte sich eine Lichterprozession in Bewegung. Die Nonnen kamen so eiligen Schrittes, dass im Schein der Fackeln ihre wehenden Schleier auszumachen waren.
»Und wenn die Brüder Aunay nun alles leugnen?« Séverine klammerte sich an diesen winzigen Funken Hoffnung.
»Damit rechnet besser nicht. Unter der Folter spricht jeder, früher oder später. Außerdem geht ein Gerücht um, dass die Königin von England seiner Majestät entsprechende Beweise vorgelegt hat.« Julien räusperte sich. »Und noch etwas: Die Räume der Prinzessinnen werden von den Männern der königlichen Garde durchsucht. Niemand darf sie betreten. Weder Hofdamen noch Kammermägde.«
Adrien begriff noch vor Séverine, was das bedeutete.
»Du kannst unmöglich in dein Gemach zurück. Es ist zu spät, du begibst dich in Gefahr.«
»Was soll das heißen?«
»Sieh nach unten. Dort kommen die Zisterzienserinnen, in deren Obhut die Prinzessinnen gegeben werden. Es sind fromme, gerechte Frauen. Wir müssen abwarten, ob es Jeanne gelingt, ihre Unterstützung zu erlangen.«
Hastig führte er sie zur Treppe und winkte Julien, ihnen zu folgen.
»Denkst du, der König lässt Gnade walten, wenn sein erster Zorn abgeflaut ist?«, fragte Séverine verzweifelt. Sie nahm kaum zur Kenntnis, dass Adrien sie im Dunkel des Turmes stützte.
»Das hängt davon ab, wie seine Söhne reagieren und was die Brüder Aunay gestehen. Außerdem ist da noch Isabelle. Sollte sie tatsächlich ihre Finger im Spiel haben, habe ich wenig Hoffnung. Sie verachtet ihre Schwägerinnen und neidet ihnen das schöne Leben in Paris.«
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Siebtes Kapitel
K rachend fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss. Das Knarren eines Riegels, danach herrschte Stille. Jeanne vernahm das Rauschen ihres Blutes, während sie sich umsah. Blanche und Marguerite standen reglos neben ihr.
Die Kammer war kaum groß genug für den Tisch, die Bank und den dreibeinigen Hocker. Kahle Wände, kein Kamin, Holzläden vor dem Rundbogenfenster. Dass es im Schloss von Maubuisson überhaupt solch karge Räume gab, verwunderte Jeanne.
»Was hat das zu bedeuten?« Blanche fasste sich an den Hals, als habe sie Mühe zu atmen. In ihren weitaufgerissenen Augen stand die nackte Angst. »Ich halte das nicht aus.«
Ehe Jeanne reagieren konnte, wirbelte ihre Schwester auf dem Absatz herum und schlug mit den flachen Händen klatschend gegen die Holztür.
»Lasst uns raus. Lasst uns hier raus …!«
»Blanche, ich bitte dich, beruhige dich. Es hat keinen Sinn, wir müssen Haltung bewahren, Schwester.«
Blanche sackte in sich zusammen, die Hände rutschten von der Tür. Ihr planloser Blick schweifte durch den Raum und blieb flehend an Marguerite hängen.
»Was sollen wir hier?«
»Warten. Du hast den König gehört.«
Marguerite ließ sich auf der Bank nieder und schüttelte die burgunderroten Falten ihres Samtgewandes in Form. Auf den ersten Blick wirkte sie völlig gelassen. Doch der erste Blick täuschte. Ihre Lider flatterten, die Finger zupften am Stoff, und an ihrer Schläfe pochte eine Ader so heftig, dass man es aus zwei Schritten Entfernung erkennen konnte.
»Wie kannst du so ungerührt sein?« Blanche fasste sich mühsam, trat an das Fenster und stieß die Läden auf. Ein Schwall kühler Nachtluft drang herein.
»Verstehst du, was den König bewegt? Wie kann er uns vor den Augen des ganzen Hofes auf solche Weise erniedrigen? Arrest? Weswegen? Doch nicht
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