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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
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grauen Himmel erkennen. Das diffuse Licht ließ keinen Rückschluss auf die Tageszeit zu. Es konnte ebenso früher Morgen wie später Vormittag sein.
    Adrien wusste wenig Erfreuliches zu berichten.
    »Das Schloss ist wie ausgestorben. Vor den königlichen Gemächern stehen doppelte Wachposten. Niemand weiß, was hinter den Türen besprochen wird. Es ist, als hielte ganz Maubuisson den Atem an.«
    »Und was ist aus Jeanne und den beiden anderen geworden?« Séverine musste sich räuspern, um sich verständlich zu machen.
    »Sie sind angeblich in der königlichen Kapelle. Zumindest stehen auch hier Wachen vor dem Eingang. Es wurde keine Morgenmesse gelesen. Seit Stunden, sagt man, beten in der Kapelle die Nonnen zusammen mit den Prinzessinnen. Das Einzige, was sicher ist, betrifft die Brüder Aunay. Man hat sie in den Kerker des Schlosses von Pontoise überstellt, in die Folterkammer zur hochnotpeinlichen Befragung.«
    Séverine trat ans Fenster. Tiefe Regenwolken hingen über den Dächern der Stadt und dem Fluss.
    »Und was bedeutet das«, fragte sie tonlos. »Sag mir bitte, dass es nicht das bedeutet, was ich befürchte.«
    Adrien schwieg. Julien antwortete.
    »Sie verleihen ihren Befragungen mit glühenden Eisen und Daumenschrauben Nachdruck. Haben die keinen Erfolg, legt man die Angeklagten auf die Streckbank, wo man ihre Gelenke dehnt, bis die Knochen herausspringen. Auch Wasserfolter, Peitschen und Gewichte kommen zum Einsatz«, erklärte er, bis Adrien seiner Mitteilungssucht ein Ende machte.
    Stille sank über die Kammer. Séverine bekämpfte den Brechreiz, der sie bei Juliens Schilderung überfallen hatte. Auch in Faucheville wurde Recht gesprochen. Dieben drohte im Wiederholungsfall der Verlust einer Hand, Mördern der Galgen. Bei dieser Tortur jedoch würde sogar ein Unschuldiger jedes Verbrechen gestehen, nur damit die Qual ein Ende hatte, begriff sie.
    »Denn werden sie also sprechen«, sagte sie nach kurzem Nachdenken. »Welche Folgen hat das für Blanche und Marguerite? Wird der König danach den Befehl geben, auch seine Schwiegertöchter zu foltern?«
    »Nein. Natürlich nicht.« Adriens Antwort kam Julien zuvor. Séverine war verzweifelt genug. Er wollte nicht, dass er sie mit weiteren Details erschreckte. »Wo denkst du hin? Frauen werden nicht gefoltert und Edeldamen schon gar nicht. Wozu auch? Es genügt, wenn das Unrecht einmal gestanden wurde.«
    »Es genügt zum Geständnis, aber genügt es auch als Strafe?« Séverine trat zum Tisch und stützte sich mit beiden Handflächen auf, ehe sie Adriens Blick suchte. »Wen wird welche Strafe des Königs treffen? Sag es mir. Ich will es wissen. Alles.«
    »Ich kann es dir nicht sagen«, antwortete Adrien nach einem längeren Zögern. »Ehebruch ist eine schwere Sünde und erfordert eine empfindliche Strafe. Ich fürchte, es läuft auf die Verbannung seiner Schwiegertöchter in ein Kloster hinaus. Das ist gemeinhin die Buße für weibliche Angehörige der Königsfamilie, die die Familienehre beschmutzt haben.«
    »Jeanne hat niemandes Ehre beschmutzt.«
    »Sie hat geschwiegen, Séverine. Das ist in den Augen des Königs und vieler anderer gleichbedeutend mit Billigung. Sie hätte …«
    »… ihre Schwester verraten, ihre Base an den Pranger stellen müssen. Stellt Philippe diese Forderung? Distanziert er sich von der Mutter seiner Kinder, weil sie es nicht über sich brachte, zur Verräterin zu werden?«
    Heftig atmend, mit blitzenden Augen und erregt geröteten Wangen richtete Séverine sich wieder auf. Sie forderte Antworten. Adrien konnte sie ihr nicht geben.
    »Es war mir unmöglich, zu Philippe vorgelassen zu werden. Er hält sich gemeinsam mit seinen Brüdern beim König auf. Dort hat nur Zutritt, wer von seiner Majestät ausdrücklich vorgeladen wird. Wir sind auf Vermutungen angewiesen. Ich kann sicher nur sagen, dass alle Vergnügungen abgesagt sind, sogar die morgige Jagd. Die meisten Ehrendamen haben sich in das Gästehaus des Nonnenklosters zurückgezogen. In der Furcht, es könnte als Schuldgeständnis ausgelegt werden, wagt keiner abzureisen.«
    Da Séverine keine weiteren Fragen stellte, entspannte sich Adrien für einen kurzen Augenblick. Er legte den Waffengurt beiseite, öffnete die Schlaufen seines Wamses und rieb sich das Kinn mit den hellen Bartstoppeln, ehe er für einen Moment die Augen schloss. Auch ihm setzten die Ereignisse heftig zu. Als er wieder aufschaute, sah er den tatenlosen Julien Séverine anhimmeln und wurde von einer

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