Turm der Lügen
uns foltern. Es würde ihm gefallen.«
»Wie kannst du so etwas sagen?« Die Weinkrämpfe hatten Blanches Gesicht völlig entstellt. Mit geschwollenen Augen und rotgefleckter Haut rang sie die Hände. »Charles liebt mich. Er wird nicht zulassen, dass man mich foltert. Er hat keinen Hang zur Grausamkeit.«
»Verlass dich nicht auf eine Liebe, die du selbst mit Füßen getreten hast«, widersprach Marguerite. »Charles ist eitel. Du hast ihn in seiner Eitelkeit schwer getroffen, indem du dich Gautier hingegeben hast.«
Sie brach ab. Der Türriegel wurde aufgeschoben, dann schwang die Bogenpforte in den Lederangeln auf. Eine Nonne in weißem Untergewand und schwarzem Skapulier trat ein. Sechs weitere Schwestern, die das braune Skapulier der niederen Zisterzienserränge trugen, folgten ihr gemessenen Schrittes. Hinter ihnen fiel die Tür wieder zu. Für einen endlos scheinenden Augenblick musterten sich die frommen Frauen und die prächtig gewandeten Edeldamen stumm. Dann ergriff Marguerite das Wort.
»Seid mir gegrüßt«, sagte sie mit der ganzen Würde einer Königin von Navarra. »Ich nehme an, Ihr seid gekommen, uns mitzuteilen, was Seine Majestät in unserer Sache beschlossen hat.«
Es hörte sich an, als würde sie den Nonnen eine Gnade erweisen. Jeanne bewunderte sie wider Willen für so viel Unerschütterlichkeit. Marguerite hatte sofort erkannt, dass es nicht die Äbtissin von Maubuisson war, die sie aufsuchte, und verhielt sich dementsprechend. Man hatte Nonnen niederen Ranges zu ihnen gesandt.
In der Abtei von Maubuisson,
Saint Ouen-L’Aumône,
lag das oberste Amt stets in den Händen einer Aristokratin aus einer der ersten Familien des Landes. Die kleine Person mit dem faltigen Gesicht und den Knopfaugen einer Maus, die diese Abordnung anführte, war vermutlich eine ihrer Stellvertreterinnen. Jeanne beging dennoch nicht den Fehler, sie zu unterschätzen.
»Wer seid Ihr?«, herrschte Marguerite die Ordensfrau von oben herab an.
»Mein Name ist Mutter Geneviève. Ihr werdet gemeinsam mit mir und meinen Schwestern die Nacht in der Kapelle des Königs verbringen. Reue und Gebet sind die Forderung der Stunde. Lasst uns gehen.«
»Aber …«
»Sei ruhig.« Jeanne legte schützend den Arm um die bebenden Schultern ihrer Schwester und half Blanche auf. »Folgen wir der ehrwürdigen Mutter. Gebete werden uns stärken und trösten.«
»Aber es ist mitten in der Nacht. Ich bin müde und erschöpft. Ich will …«
»Fasse dich«, mahnte Jeanne und schüttelte sie leicht.
»Entsagt aller Eitelkeit und Ichsucht, meine Tochter«, wies Mutter Geneviève Blanche streng an. »Reue steht Euch wohl an. Doch verzagt nicht. Christus ist gnädig. Er hat auch Maria Magdalena verziehen, aber er erwartet, dass Ihr Eure Sünden bereut.«
Die Gänge des Schlosses lagen wie ausgestorben im Halbdunkel. Wenige Laternen beleuchteten den Weg. Bis auf die Wachsoldaten des Königs begegnete ihnen keine Menschenseele. Die Tür zur Kapelle stand offen und wurde hinter ihnen von unsichtbarer Hand geschlossen.
Dunkel umfing sie. Das Ewige Licht über dem Altar und die Opferkerzen vor den Statuen der Heiligen verbreiteten kaum Helligkeit. Blanche stolperte und wäre gefallen, hätte Jeanne sie nicht am Arm gehalten. Keine der Nonnen machte eine Bewegung, ihr zu helfen. Waren sie schon verurteilt? Aussätzige, deren Berührung jede fromme Frau besser mied?
Mutter Geneviève schritt zum Altar und sank mit einem leisen Ächzen auf die Knie. Jeanne tat es ihr nach und zog Blanche mit sich. Marguerite versäumte nicht, zuerst die Röcke ihres eleganten Hofgewandes zu ordnen, ehe sie die Hände faltete und ebenfalls den Kopf senkte. Die Litanei der Gebete, von den Nonnen vorgegeben, einte ihre leisen Stimmen.
Anfangs fand Jeanne einen gewissen Trost in den Worten. Je steifer ihre Knie jedoch wurden und je höher die Kälte aus den Steinen in ihren Körper kroch, umso mehr gewann die Angst wieder Oberhand.
Der Morgen war nicht mehr fern. Was brachte ihnen der neue Tag? Wer würde für sie sprechen?
Gewiss, Philippe war ihr zugetan und ihren Töchtern ein liebevoller Vater. Aber konnte sie unter diesen Umständen auch weiterhin auf seine Zuneigung bauen? Was wog für ihn schwerer? Die Anklagen von Vater und Schwester oder die Gefühle für die Frau, mit der man ihn aus politischen Gründen verheiratet hatte?
Nie war ein böses Wort zwischen ihnen gefallen. Auch hatte er ihr keinen Vorwurf gemacht, dass sie nur Mädchen zur Welt
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