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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
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ein. »Du fehlst mir schon, wenn ich nur daran denke, dich verlassen zu müssen.«
    »Ich werde für dich beten.«
    Sie machte keinen Versuch, ihn von dem Ritt nach Château Gaillard abzuhalten. Ihr war ebenso klar wie ihm, dass nur er Philippes Auftrag ausführen konnte. Dennoch kämpfte sie mit ihrem Kummer, als er das gesattelte Pferd aus dem Stall führte. In Kürze würde es tagen, und er wollte unter den Ersten sein, die die Stadt Richtung Westen verließen, wenn das Stadttor des heiligen Antonius geöffnet wurde.
    »Gott schütze dich, geliebte Séverine«, sagte er innig und küsste sie.
    Séverine verstummte der Gruß auf den Lippen.
    Mit brennenden Augen sah sie ihm zu, wie er aufsaß und zum Tor ritt. Der Morgen nahte. Schon konnte sie die Umrisse der Mauern und Gebäude erkennen. Die mürrische Stimme des Torwächters, das Knarren des Tores, das Geklapper von Mars’ Hufen folgten ihr zum Kücheneingang. Sie musste sich beeilen. Jeden Augenblick konnte der erste Hausknecht zum Abtritt hinter den Ställen schlurfen.
    Obwohl sie ihre Kammer ohne Zwischenfälle erreichte, raste ihr Herz, und ihre Knie zitterten. Waren wirklich erst wenige Stunden vergangen, seit sie – von rätselhafter Unruhe getrieben – ihr Bett verlassen hatte? Sie kehrte als eine andere zurück.
    Als Adriens Braut?
    Es war tollkühn, das zu denken. In Wahrheit hatten sie und Adrien keine Chance, je ein Paar zu werden, sagte ihr kritischer Verstand. Dafür hätte Philippe schon selbst König sein müssen. Dennoch bereute sie nichts. Sie empfand, was geschehen war, als großes, gerechtes Geschenk.

[home]
Elftes Kapitel
    D ie Frauen von Les Andelys trauten einem Fremden hoch zu Ross nicht über den Weg. Unsicher zogen sie sich vom Waschplatz an der Mündung des Gambon zurück. Adrien hatte den Bach soeben durchquert und wollte sie nicht unnötig erschrecken, deswegen verzichtete er auf einen Gruß und ließ Mars auf dem Uferweg angaloppieren.
    Das Dorf lag in einer Schleife der Seine, in Sichtweite der Festung, zwischen dem Gambon und einem zweiten Bach, der in den Fluss mündete. Siebzehn Türme und gewaltige Mauern begrenzten den Horizont im Westen. Château Gaillard war eine beeindruckende Festung.
    Vor dieser Kulisse verschwanden die Häuser des Ortes geradezu. Auf der Suche nach einer Schenke lenkte Adrien Mars in Richtung des kleinen Gotteshauses. Bevor er seinen Auftrag erledigte, wollte er seinen Hunger stillen und versuchen, ein paar Informationen zu erlangen.
    Auch in Les Andelys war die Schenke neben der Kirche der Treffpunkt aller Männer aus der Umgebung. Niemand konnte ihm besser Auskunft geben als der Wirt. Er war ein gutmütiger, untersetzter, schon etwas älterer Mann, der sich über jeden Gast freute und gern ein Schwätzchen hielt. Er setzte sich ohne Zögern zu ihm an den langen Tisch und begann ein Gespräch.
    Adriens Fragen nach der Burg und ihren Bewohnern beantwortete er in aller Ausführlichkeit.
    »Arme Teufel sind es, alle miteinander. Sowohl die, die Dienst dort tun, wie die Gefangenen, die sie bewachen, Seigneur. Dem Anschein nach hat man sie vergessen. Als Letzter ist ein Kaplan auf die Burg gekommen. Seitdem hat sich keiner mehr der Festung genähert.«
    Adriens Messer verharrte kurz in der Luft, ehe er den nächsten Streifen Speck abschnitt. »Setzen sie dort oben auch Priester gefangen?«
    »Aber nein. Der Kaplan liest die Messen in der Burg und nimmt den Gefangenen die Beichte ab.«
    »Das müssen ja bedeutende Herrschaften sein, wenn man sich noch um ihr Seelenheil kümmert.«
    »Mag sein.« Der Wirt stemmte sich ächzend hoch, weil eine Gruppe Bauernburschen eintrat. »Aber wenn sie einmal hinter diesen Mauern gelandet sind, ist ihre Bedeutung kein Staubkorn mehr wert. Keiner von ihnen hat diesen Kerker je lebendig wieder verlassen. Ich habe gehört, dass es Frauen sein sollen. Vielleicht sogar nahe Verwandte des Königs. Man munkelt, es könne sich um die Prinzessinnen handeln, die in Pontoise verurteilt wurden.«
    Adrien trank seinen Wein aus und warf eine zusätzliche Münze auf den Tisch, ehe er mit einem gemurmelten Gruß das Gasthaus verließ. Er lenkte Mars auf den ausgewaschenen Karrenweg zur Burg. In endlosen Windungen zog er sich den Kalkfelsen hinauf, so dass ihm genügend Zeit zum Nachdenken blieb. Die Schwiegertöchter des Königs waren also tatsächlich nach Château Gaillard verbannt worden.
    Mit zunehmender Höhe wurde der Blick spektakulärer. Der Fluss mit seinen Sandbänken und

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