Turm der Lügen
Befangenheit gab auch Séverine dem heißen Drängen nach, das Adriens Umarmung in ihr weckte. Sie schlug den Reiterumhang zurück, damit sie sich noch enger an ihn schmiegen konnte. Nichts sollte zwischen ihnen sein.
»Du verführst mich«, flüsterte er ihr ins Ohr, während er sich bezwang, nicht nach ihren Brüsten zu greifen, die sich so verlockend unter ihrem Kleid wölbten. »Wir müssen kühlen Kopf bewahren, Séverine, und vernünftig sein.«
Séverine wollte von seinen Bedenken nichts wissen. Seit ihr bewusst geworden war, dass sie sich nach dem Mann Adrien sehnte und nicht nach dem Bruder, wünschte sie sich mit ihm eine innige Vereinigung. Sie wollte nicht mehr nur seine starken Arme spüren, sondern auch seine Männlichkeit.
Sie schlang die Arme um seine Hüften und schmiegte sich an ihn. All seine guten Vorsätze machte sie zunichte.
»Ich will die Deine werden. Jetzt! Was kümmert mich die Vernunft! Liebe mich! Jetzt!«
Adrien machte noch einmal einen leisen Versuch, sie zu schützen. »Ich will dich in allen Ehren zu meiner Frau machen.«
Ein Finger auf seinen Lippen unterbrach ihn.
»Komm auf den Zwischenboden. Dort finden wir im frischen Stroh ein wundervolles Lager. Wir denken uns einfach, wir lägen gemeinsam in Faucheville.«
Sie zog ihn zur Leiter. Adrien verstand, was sie bewegte. Wer wusste, was morgen sein würde. Das Leben war unsicher und stets gefährdet. Mit fast dreißig Jahren hatte er ein Alter erreicht, in dem viele der jungen Männer, die mit ihm als Knappen gedient hatten, bereits Krankheiten, Kriegen und Unfällen zum Opfer gefallen waren.
Séverine zögerte keinen Moment, die Kleider abzustreifen. Im Schein der eisernen Laterne, die Adrien schnell noch entzündet hatte, strahlte hell ihr Körper. Die Stadt hatte ihm die gesunde Bräune genommen, dafür lag der Glanz von feinstem Alabaster auf der Haut.
Adrien konnte und wollte die Augen nicht abwenden, die Erregung nicht länger mit Gedanken an Sittsamkeit und kirchliche Gebote zügeln. Wie hatte er ihre Gestalt je für knabenhaft halten können? Sie besaß eine zerbrechlich schmale Taille, und ihre Brüste wölbten sich wie feste Äpfel. Im Schoß kräuselte sich helles Haar. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Hastig legte er ebenfalls sein Gewand ab und wandte sich ihr zu.
Bewundernd tasteten Séverines Blicke, halb scheu, halb neugierig, über den Männerkörper. Das Dämmerlicht ließ breite Schultern, schmale Hüften, die Muskeln des Reiters und Schwertkämpfers erkennen sowie eine Männlichkeit, die sich ihr entgegenreckte. Noch ehe die Unsicherheit Oberhand gewinnen konnte, fand sie sich in Adriens Armen geborgen. Seine Küsse vertrieben die letzte Unsicherheit. Endlich konnten sie ihrem Verlangen nachgeben.
Er liebkoste sanft ihre Brüste, erkundete ihren Leib. Ein lustvoller Schauer durchrieselte ihren Körper. Séverine zitterte, brannte und verlor sich im Strudel der Gefühle. Unruhig drängte sie sich ihm entgegen, auf der Suche nach etwas Unbekanntem. Sie war sich sicher, dass nur Adrien ihre Sehnsucht stillen konnte.
Adrien unterband ihren Aufschrei mit den Lippen, als er ihr den unvermeidlichen Schmerz zufügte. Die bedingungslose Hingabe, mit der Séverine ihn in sich aufnahm, überwältigte ihn. Nie zuvor hatte eine Frau seine Leidenschaft so erwidert und geteilt. Sie waren füreinander geschaffen.
»Hast du Schmerzen? Es tut mir leid.«
Überwältigt schlug Séverine die Augen auf, als sie endlich wieder wusste, wer und wo sie war.
»Ist es immer so … so als würde man zum Himmel fliegen? Dafür will ich den Schmerz gern in Kauf nehmen.«
Adrien legte seine Stirn an die ihre und küsste sie auf die Nasenspitze. Ihre Handflächen glitten sachte über seinen Rücken, strichen über sein Gesäß. Sie machte es ihm schwer, sich aus ihr zurückzuziehen.
»Bis ich wieder da bin, wirst du den Schmerz vergessen haben. Es tut nur beim ersten Mal weh«, versicherte er ihr sanft.
»Bis du wieder da bist …«, wiederholte Séverine, und er spürte, wie sie sich tapfer der Wirklichkeit zuwandte. »Die Straßen sind unsicher, du hast es selbst gesehen, auf unserem Weg nach Pontoise. Ich wünschte, Julien wäre an deiner Seite und würde dir den Rücken decken.«
»Du weißt, dass er seine Familie besucht. Auch möchte Philippe keine anderen Zeugen. Aber Mars wird mich sicher nach Paris zurückbringen.« Adrien vergrub die Hände in ihren aufgelösten Haaren und atmete den Duft nach Schafgarbe und Sommer
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