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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
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der Insel vor dem Dorf zeigte sich aus der Höhe als gewundenes, graublaues Band. Schon Richard Löwenherz hatte die Insel, genau vor Les Andelys, befestigt. Im Kriegsfall wurde von dort aus der Fluss auf beiden Seiten mit Ketten versperrt, so dass jeder Schiffsverkehr zum Erliegen kommen musste. Die Barriere bildete ein unüberwindbares Hindernis für feindliche Armeen. Das Dorf lag zudem mitten in einem Sumpfgebiet, so dass die Zitadelle auf dem Landweg nur über befestigte Knüppeldämme erreicht werden konnte.
    Als Adrien Mars vor dem engen Tor mit dem eisernen Fallgatter zügelte, dampfte das Streitross vom steilen Anstieg. Ein Bewaffneter in Kettenhemd und Helm, gelangweilt auf eine Hellebarde gestützt, fragte barsch nach seinem Begehr.
    »Adrien Flavy, Ritter seiner Majestät des Königs«, antwortete er in einem Ton, der keinen weiteren Wortwechsel duldete. »Ich wünsche den Burghauptmann zu sprechen.«
    Der Wachmann brummte eine unverständliche Antwort und bellte einen Befehl. Knirschend setzten sich die armdicken Eisenstäbe des Fallgatters nach oben in Bewegung. Adrien lenkte Mars durch das Tor und konnte ein Unbehagen kaum unterdrücken. Unter dem Steingewölbe der Torpassage hallten die Hufschläge unheilvoll nach. Die Wachmannschaft teilte ihm keine Begleitung zu. Es war unnötig. Nachdem das Gatter wieder nach unten gerattert war, gab es kein Entkommen mehr aus dieser Festung.
    Innerhalb des ersten Mauerringes gelangte Adrien wieder ins Freie. Neugierig sah er sich um.
    Ursprünglich aus fast weißen Steinquadern errichtet, war das Mauerwerk inzwischen grau geworden. Fels und Befestigungen gingen ineinander über. Er ritt an Wassergräben, Pferdeställen und der Werkstatt eines Waffenschmiedes vorbei. Vor der Zugbrücke des zweiten Mauerringes blieb er stehen. Erst nachdem sie sich gesenkt hatte, konnte er den Anstieg zum Donjon hinaufreiten.
    Im Bergfried und dem angrenzenden Gebäude befanden sich die Kapelle, das Quartier des Hauptmannes und die Unterkünfte der Gefangenen. Uneinnehmbar auf dem höchsten Punkt des Felsens war er Wind und Wetter ausgesetzt, so dass er nur die allernötigsten Fensterschlitze besaß.
    König Philippe August und seine Männer, die Richard Löwenherz diese Festung für die französische Krone wieder entrissen hatten, waren im Jahre 1204 angeblich durch die Latrinengänge in das Herz der Anlage vorgedrungen. Adrien war geneigt, das zu glauben. Einen anderen Weg schien es nicht zu geben.
    Welch ein beklemmender Aufenthaltsort für drei junge Frauen. Sogar für Marguerite und Blanche brachte er unter diesen Umständen Mitgefühl auf. Umso mehr beim Anblick des Burghauptmannes von Château Gaillard. Bersumée war ein finsterer Geselle. Bärtig, mit schütterem Haupthaar und tiefliegenden Augen, brachte ihn erst die Nachricht auf die Beine, dass sein Besucher aus Paris kam.
    »Was führt Euch nach Château Gaillard, Seigneur?«, fragte er brummig und misstrauisch.
    »Der Auftrag, die Haftbedingungen Eurer Gefangenen zu überprüfen, Hauptmann.«
    Adrien vermied es, eine bestimmte Person als Auftraggeber zu benennen. Er wusste um die Gefährlichkeit seiner Mission. Wenn es ihm gelang, Bersumée den Eindruck zu vermitteln, dass der König diese Kontrolle befohlen hatte, war schon viel gewonnen. Jedes seiner Worte sorgsam abwägend fuhr er fort: »Es ist wichtig, dass die Anweisungen seiner Majestät genauestens befolgt werden.«
    »Selbstverständlich. Ich habe die Anordnungen genau gelesen.« Hörbarer Stolz klang aus seiner Stimme, denn es war nicht die Regel, dass Männer seines Standes lesen konnten. »Mit den verurteilten Frauen wird so verfahren, wie es befohlen wurde.«
    Die offizielle Bestätigung seiner Befürchtungen verhärtete Adriens Züge.
    »Sagt mir, wie sind sie untergebracht?«, setzte er das Verhör knapp fort.
    »Je nun.« Der Hauptmann kratzte sich am Kopf und begann eine umständliche Aufzählung. »Die Verbannten sind im Donjon eingekerkert. Es gibt dort, über eine Treppe verbunden, drei gleich große, runde Gemächer mit gemauerten Gewölbedecken. Sie haben jeweils einen Kamin, aber nur der in der ebenerdigen Kammer, wo sich die Wachmannschaften aufhalten, wird beheizt. Auch nur dort sind Holzläden vor den Fensteröffnungen. In den anderen Kammern pfeift der Wind durch. Die Verurteilten müssen sich mit einem Holztisch, einem Hocker, einem ungepolsterten Betstuhl sowie einem einfachen Bett mit Strohsack und einer Decke begnügen. Kein Stroh auf dem

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