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Turm-Fraeulein

Titel: Turm-Fraeulein Kostenlos Bücher Online Lesen
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er dies tun würde, es war tatsächlich eine spontane Handlung. Und Rapunzel, die nicht genau erkannte, was er vorhatte, drehte sich gleichzeitig zu ihm um. Und so traf er statt ihrer Wange die Lippen. Dies veränderte alles. Ihre Lippen waren das sanfteste und lieblichste, was er jemals berührt hatte.
    Nach einem Augenblick der Ewigkeit lösten sie sich wieder voneinander. »Ich weiß, was das war!« rief sie entzückt. »Das war ein Kuß!«
    Grundy konnte nur noch nicken. Er war selbst wie benommen. Es war offensichtlich, daß dies ihre erste Erfahrung dieser Art war; bei ihm war es das gleiche. Und es war wohl besser, dachte er bedrückt, wenn es das letzte Mal blieb.
    »Wie war ich?«
    »Was?«
    »Habe ich gut geküßt?«
    Gut? Er fühlte sich, als hätten seine Füße noch immer den Boden nicht wiedergefunden. Doch wie sollte er ihr das sagen? Schließlich hatte es sich auch nicht um eine Art Prüfung gehandelt. Wenn er dagegen nein sagte, könnte sie dies verletzen. »Äh… ja.«
    »Küssen sich Leute immer, wenn ihnen etwas leid tut?« fragte sie fröhlich.
    »Nicht unbedingt«, murmelte er.
    »Gut. Mir tut es nicht leid. Jetzt laß mich es mal versuchen.«
    »Du verstehst nicht…«, protestierte er und wich zurück.
    »Aber ich versuche doch wirklich, es zu verstehen«, warf sie ein. »Ich möchte wissen, wie die Dinge in der wirklichen Welt sind.« Sie beugte sich vor, die Lippen geschürzt.
    Grundy wich noch weiter zurück, unfähig, etwas zu sagen. Durch sein hastiges Zurückweichen verloren sie beide das Gleichgewicht und fielen aufs Bett. Rapunzel auf ihn. »So vielleicht?« fragte sie und drückte ihre Lippen auf seinen Mund.
    Grundy war sich ziemlich sicher, daß er die Sache noch einmal bereute, doch für den Augenblick gab er jeden Widerstand auf. Er schlang die Arme um sie und hielt sie fest, während sie sich küßten.
    Nach einem noch viel längeren Augenblick der Ewigkeit hob sie lächelnd den Kopf. »Oh, das macht aber wirklich Spaß!« rief sie. »Ich habe ja gar nicht gewußt, was mir alles entgeht, da oben im Elfenbeinturm!«
    Und er, Grundy, hatte seinerseits niemals wirklich gewußt, was ihm entgangen war, schon sein ganzes Leben lang! Doch das konnte er ihr nicht erzählen. Sie besaß schließlich etwas, was ihm fehlte: eine Zukunft unter Menschen oder den Elfen.
    »Es dämmert«, sagte er ein wenig barsch. »Wir sollten das Bett besser in Deckung bringen.«
    »Ach so, ja!« Sie richtete sich auf, nahm wieder Menschengröße an und half Snorty dabei, das Bett zu tragen. Sie behielt diese Körpergröße bei und schritt umher, auf der Suche nach Früchten, die sie dann zum Bett zurückbrachte. Schließlich nahm sie wieder Golemgröße an, und gemeinsam bissen sie in eine riesige Frucht.
    Nun leuchtete die Sonne schon hell am Himmel. »Ich glaube, das Gespenst muß jetzt weg sein«, meinte Grundy. »Sie wird eine andere Gestalt angenommen haben. Wir können also wieder etwas ruhiger sein.«
    »Dennoch«, sagte sie, »bleib bitte in meiner Nähe.«
    Wieder wußte er, daß es ihm noch leid tun würde, denn je näher er bei ihr blieb, um so mehr mochte er sie, und nicht nur als Kameradin. Wenn sie erst einmal ihren Platz unter ihresgleichen gefunden hatte, wo immer dies auch sein mochte, würde er doppelt so einsam sein wie zuvor. Doch wenigstens gab es diesen Augenblick – diesen Augenblick der Reise. Nun hatte auch er es, genau wie sie, nicht mehr sonderlich eilig, die Reise zu einem Ende zu bringen.
    Sie nahmen auf dem Bett Platz, legten sich Seite an Seite. Rapunzel nahm und hielt seine Hand, und er protestierte nicht dagegen. Ihre kleinen Intimitäten waren – für sie zumindest – so unschuldig, für ihn dagegen so bedeutungsvoll – doch darauf wollte er sie nicht hinweisen. Ihre Naivität gehörte zu ihrer Anziehungskraft.
    Sie schliefen wieder, diesmal ohne Alptraum. Statt dessen wurden sie, von einer frechen Fliege heimgesucht, die zu den boshaften, stechenden Insektenarten gehörte. Die Fliege ließ sich auf Grundys Bein nieder, um ihren Stachel in sein Fleisch zu graben. Für eine Person von Menschengröße hätte dies Unannehmlichkeit bedeutet; für Grundy jedoch war es ein Ruck und ein Stoß, der ihn brutal aus seiner Ruhe riß.
    Die Fliege war etwas unbeholfen. Er griff hinunter und packte sie an den Flügeln. So heftig sie auch summen mochte, hielt er sie doch eisern fest. »Du hast mich gebissen!« rief er in Fliegensprache und musterte die Wunde, die das Insekt auf seinem

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