Turm-Fraeulein
Wesen wäre wahrscheinlich auf der Stelle gestorben, doch dieses hier war von anderem Kaliber. Plötzlich öffnete sich das Maul des Ziegenkopfs und stieß einen Feuerstrom hervor.
Jordan versuchte sich zu ducken, war aber nicht schnell genug. Das Feuer erfaßte den oberen Teil seines Kopfes, versengte sein Haar, ein Ohr sowie seine beiden Augen. Rapunzel kreischte auf.
Nun trat die Schimäre näher, wobei der Ziegenkopf die Löwenpranken leitete. Sie hob eine Pranke, um den immer noch ruhig dastehenden Mann aufzuschlitzen.
»Direkt vor dir!« rief Threnodia. »Jetzt!«
Mit einem gewaltigen Hieb trennte Jordan den Ziegenkopf vom Hals. Dies war war sogar für die Schimäre zuviel. Sie stürzte zu Boden und starb.
»Aber der Mann!« rief Rapunzel voller Grauen. »Seine Augen!«
»Ja, ich fürchte, die sind ziemlich mitgenommen«, meinte Threnodia und legte den Kopf schräg, während sie Jordan musterte. »Aber mach dir keine Sorgen, seine Wunden heilen ziemlich schnell.«
»Er…?«
»Sein Talent«, erklärte Grundy. »Man kann ihm keinen dauerhaften Schaden zufügen. Du wirst schon sehen.«
Threnodia nahm Jordan an der Hand und führte ihn zum Bett. »Setz dich«, sagte sie zu ihm. »Die Gefahr ist gebannt.«
Dessen war sich Grundy zwar überhaupt nicht sicher, doch er hoffte, daß es nun eine Weile dauern würde, bevor die Vettel ein weiteres Monster fand, von dem sie Besitz ergreifen konnte. »Wie kommt es, daß ihr hier seid?« fragte er.
»Wir haben eine Nachricht von Bink bekommen«, erläuterte Threnodia. »Er hat uns gesagt, daß es möglicherweise eine ganz gute Sache wäre, wenn wir durch diesen Teil Xanths reisen könnten. Also haben wir es getan.«
»Bink! Aber er konnte doch nicht wissen, daß ich hier sein würde, und schon gar nicht, in welcher Gefahr ich mich befand!«
»Dann muß es wohl doch ein glücklicher Zufall gewesen sein«, meinte sie.
Ein glücklicher Zufall. Von jener Art, wie sie ständig geschahen, wenn Bink in der Nähe war. Nun reichte dieses Phänomen sogar schon bis zur äußersten Küste Xanths. Was hatte es nur mit diesem Mann auf sich?
Threnodia blickte Rapunzel an. »Ich glaube, ich kenne dich noch nicht.«
»Das ist Rapunzel«, sagte Grundy. »Ich bin gerade dabei, sie vor der Seevettel zu retten.«
»Vor der Seevettel?«
»Die alte Hexe ist unsterblich. Sie besetzt die Körper anderer, solange, bis sie sterben. Sie hatte auch von der Schimäre Besitz ergriffen. Nun wird sie in irgendeiner anderen Form erscheinen und erneut versuchen, uns umzubringen. Wir werden gewissermaßen ständig belagert.«
Threnodia schürzte die Lippen. »Ich verstehe. Dann sollten wir wohl besser eine Weile bei euch bleiben.« Sie musterte Jordan erfreut. »Fühlst du dich besser, mein Liebster?«
Auf Jordans Kopf wuchs bereits wieder neues Haar. Sein abgesengtes Ohr heilte schon und auch der Zustand seiner Augen schien sich zu verbessern. Es war erstaunlich, seine Genesung förmlich beobachten zu können. Er nickte; offenbar fühlte er sich besser.
»Möglicherweise mußt du schon bald wieder kämpfen«, teilte Threnodia ihm mit.
Jordan zuckte die Schultern. Offensichtlich bekümmerte ihn diese Aussicht nicht sonderlich.
»Wenn wir im Laufe einer Stunde nicht angegriffen werden, müßte eigentlich alles in Ordnung sein«, meinte Threnodia. »Welche Gestalt wird diese Vettel wohl als nächstes annehmen?«
»Das weiß niemand im voraus«, erwiderte Grundy. »Wir müssen allem mißtrauen.«
»Also gut. Dann halte ich Wache. Der Rest ruht sich aus.«
»Ich könnte mich gar nicht ausruhen!« warf Rapunzel ein. »Das war alles so schrecklich!«
»Dann laß die Männer sich wenigstens ausruhen«, schlug Threnodia vor. »Wir beide können uns ja unterhalten.«
Grundy seufzte bei sich. Nun würde die Damsell erfahren, wie wirkliche Menschen waren. Er hatte gewußt, daß es einmal geschehen würde, hatte aber auch gehofft, daß ihm bis dahin noch ein paar Tage Zeit bleiben mochten. Andererseits waren Jordan und Threnodia gerade im richtigen Augenblick aufgetaucht, so daß er kaum dagegen protestieren konnte. Zwar würde seine Beziehung zu Rapunzel nun enden, doch wenigstens war er am Leben.
»Komm, Jordan«, sagte er zu seinem Retter. »Leg dich hier eine Stunde hin. Wenn du nichts dagegen hast, lege ich mich auf deine Brust und döse ein wenig. Dann merke ich wenigstens, wenn sich dir etwas nähern sollte!«
Jordan legte sich nieder und Grundy kletterte auf den gewaltigen Brustkasten
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