Turm-Fraeulein
Laune verbesserte sich. Das war wirklich eine gute Idee. Schon wollte er sie umarmen, doch diesmal besann er sich eines Besseren. Schließlich hatte sie ja im Augenblick auch noch Menschengröße. »Irgendwelche Oger hier?« fragte er einen anderen Baum.
»Das hängt davon ab, wie du Oger definierst«, erwiderte der Baum.
»He, was für ein Baum bist du denn?« fragte Grundy mißtrauisch.
»Ich bin eine Pingelföhre.«
Das ergab Sinn. Es war so gut wie unmöglich, von einer Pingelföhre irgendwelche nützlichen Informationen zu bekommen, weil sie ständig allerfeinste Unterschiede machte und äußerst pingelig Haarspalterei betrieb. Also kehrte er lieber zum ersten Baum zurück. »Gibt's hier irgenwelche Oger?«
»Es gibt hier eine Ogerin, die fast jeden Tag vorbeikommt.«
Nicht schlecht! »He, Ogerin!« schrie Grundy in Ogergegrunze. »Wir stecken in der Patsche!«
Und sie hörte ihn sofort. »Wunderbar! Bin gleich da!« brüllte sie zur Antwort und kam auf sie zugekracht. So wie es sich anhörte, kam sie auf übliche Ogerweise, indem sie nämlich Bäume einfach beiseite trampelte, anstatt um sie herum zu gehen.
Rapunzel war verängstigt. »Ich dachte…«, sagte sie verschüchtert.
»Ich werde ihr irgendein Geschäft vorschlagen«, sagte Grundy beruhigend. »Wir sind in Null Komma nichts am Ziel.«
»Aber angenommen… angenommen, die Süße Mutter besetzt die Ogerin?«
Das lähmte Grundy förmlich. Wenn der Geist der Seevettel die Ogerin an sich reißen sollte, dann waren sie ihr ausgeliefert. Das würde für Grundy und Snorty den sicheren Untergang bedeuten und für Rapunzel die Rückkehr zum Elfenbeinturm. Es bestand auch wenig Zweifel daran, daß die Vettel es schaffen konnte, die Ogerin zu übernehmen, denn solche Ungeheuer waren notorisch dumm.
Das Krachen kam immer näher. »He, alter Ganove!« rief die Ogerin. »Wo bist denn du?«
Doch nun wagte Grundy es nicht mehr zu antworten. Das Risiko schien einfach zu groß zu sein.
Nervös warteten sie ab und hofften, daß die Ogerin sie nicht finden würde. Erst kam das Krachen näher, dann entfernte es sich wieder; ohne Richtungsanweisungen hatte sie ihre Spur verloren. »So ein Quatsch, hau ihn zu Matsch!« hörte Grundy die zornige Ogerin milde vor sich hinbrummen, als sie davonstapfte.
Soweit zum Thema Hilfe durch Ungeheuer! Man konnte keinem Ungeheuer trauen. Nicht, solange das Gespenst der Seevettel in der Nähe lauerte.
»Dann müssen wir es eben aus eigener Kraft schaffen«, sagte Grundy bedauernd. »Das wird eine lange, harte Reise.«
»Mir macht das nichts«, meinte Rapunzel. »Ich habe es sowieso nicht eilig damit, auf Schloß Roogna zu kommen.«
Grundy war überrascht. »Aber dort sind doch die Menschen!«
»Ja«, bestätigte sie.
»Und du willst dich ihnen gar nicht anschließen?«
»Ich bin gerne bei dir«, entgegnete sie.
Darauf wußte er keine Antwort. »Wir können uns eigentlich gleich auf den Weg machen. Ich laß mir von den Pflanzen hier den Weg weisen.«
In Menschengröße nahm Rapunzel ihre Hälfte des Betts auf und Snorty die seine. Langsam trugen sie das Bett fort, während Grundy mit Hilfe der ortsansässigen Gewächse die beste Route ausfindig machte.
Einige Stunden später waren sie dem Ogersee nur ein winziges Stück nähergekommen, und sowohl das Bettungeheuer als auch die Damsell waren müde. »Wir müssen uns ausruhen«, entschied Grundy. »Das wird wirklich ein sehr langer Marsch.«
Snorty krabbelte unter das Bett, und Rapunzel ließ sich obendrauf fallen, ohne sich die Mühe zu machen, ihre Größe zu verändern. Grundy dachte daran, Wache zu halten, doch auch er war zu müde, schließlich war er die ganze Strecke selbst gelaufen, und was für die anderen langsam sein mochte, war für ihn immerhin Renntempo. Er hätte ebensogut auf dem Bett sitzen können, denn sein geringes Körpergewicht hätte keinen Unterschied gemacht, doch hatte er zu viele Schuldgefühle dazu gehabt.
»Weckt mich, wenn irgendwelche Ungeheuer kommen sollten«, sagte er zu dem umgebenden Gestrüpp, und dieses willigte ein. Pflanzen waren meistens recht entgegenkommend, wenn man sie nur höflich genug um etwas bat.
Er ließ sich neben Snorty unter dem Bett nieder, da obendrauf kein Platz mehr war. Noch immer war er beunruhigt, schlief aber ein.
Etwas später griff eine Hand nach ihm und hob ihn empor. »Ach, Rapunzel«, sagte er schläfrig. »Was hast du denn?«
»Du hast mir sehr viel Ärger gemacht, Golem«, sagte sie und furchte
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