Turm-Fraeulein
sehr ihm das gefiel:
»Ich wünschte mir, der Falke wäre nicht ums Leben gekommen«, meinte er düster.
»Ich weiß, was du meinst. Jetzt ist sie wieder frei.«
»Und wir wissen nicht, wann und wo und auf welche Art sie wieder zuschlagen wird.«
»Ich wünschte, daß es irgendeine Möglichkeit gäbe, ihr das Verlangen nach meinem Körper zu nehmen!« sagte Rapunzel. »Ich möchte eigentlich gar nicht, daß sie wirklich Schaden erleidet, ich will nur, daß sie mich in Ruhe läßt.«
»Nun, wenn wir dich auf Schloß Roogna gebracht haben«, warf er ein, »dann wird dir dort bestimmt irgend jemand helfen können.«
Eine Weile lag sie schweigend da. Dann fragte sie, mit einem typisch weiblichen Stimmungswechsel: »Warum hast du gesagt, daß du nicht die Glockenblume bist?«
Er seufzte. »Das spielt doch keine Rolle.«
»Tut es aber doch. Ich habe dich unglücklich gemacht, und das wollte ich nicht. Threnodia hat mir einige Ratschläge gegeben, wie man mit einem Mann zurechtkommt, aber es scheint nicht besonders gut zu funktionieren.«
»Weil ich eben kein Mann bin«, sagte er.
»Nun, du bist zwar kein Mensch, aber bestimmt auch keine Frau! Es ist ja wohl offensichtlich, daß du nicht Glockenblume bist, warum mußtest du es dann sagen?«
Bekümmert erklärte er es ihr. »Weil sie nur eine vorübergehende Verbindung war. Er hat sie geliebt und verlassen.«
»Aber mehr sollte es doch gar nicht werden!« protestierte sie. »Elfen und Menschen bleiben nicht lange zusammen.«
»Das ist wahr.«
»Und ich stamme von ihnen ab.«
»Das ist wahr.«
»Warum bist du dann nicht Glockenblume? Ich meine, natürlich bist du es nicht, aber…«
»Ich will nicht erst geliebt und dann verlassen werden.«
»Aber es verläßt dich doch niemand!«
»Doch, du. Wenn wir dich erst auf Schloß Roogna gebracht haben, damit du dich deiner eigenen Art anschließen kannst.«
»Ich bin mir nicht einmal sicher, welches meine eigene Art ist!«
»Menschen oder Elfen«, sagte er müde. »Du wirst es dir aussuchen können.«
Sie überlegte. »Mal sehen, ob ich die Sache endlich kapiert habe. Du magst mich, aber du weißt, daß ich dich verlassen werde, wenn ich feststelle, wohin ich wirklich gehöre, und deshalb möchtest du dich nicht allzu sehr auf die Geschichte einlassen.«
Grundy war völlig verblüfft. »Genau das ist es!«
»Und du bist ein Golem, ein lebendiger Golem, und es gibt niemanden, der genau so ist wie du, weder männlich noch weiblich, daher weißt du, daß du allein bleiben mußt.«
Es war erstaunlich, wie gut sie seine Situation jetzt verstand. »Ja.«
»Aber wenn du jemals irgend jemanden finden solltest, würdest du es dir niemals anders überlegen.«
Wie bedeutungsschwer und grausam sie es doch ausdrückte, ohne zu merken, wie weh es ihm tat. »Ich bin froh, daß du es endlich verstanden hast.«
»Du hörst dich aber gar nicht froh an.«
»Ich bin froh, daß du es verstanden hast, nicht froh für mich«, erläuterte er.
»Ich habe die Sache vielleicht etwas geordnet, aber verstehen tue ich sie nicht.«
»Wie bitte?«
»Nun bist du verwirrt«, sagte sie zufrieden. »Das geschieht dir recht!« Und sie nahm seine Hand und legte sich zum Schlafen nieder.
Auch er schlief wenig später ein.
Am nächsten Tag, während Threnodia noch immer auf dem Bett lag und ab und an eine wohlgeformte Wade herabbaumeln ließ, damit Snorty nach ihr greifen konnte, versuchten die anderen einen Ausweg aus dem Immermoor zu finden. Da das meerähnliche Gras kein Ende zu haben schien, erkundeten sie statt dessen die Palmeninsel, doch gleichgültig, aus welcher Richtung sie die Insel durchquerten, stets kamen sie auf der gegenüberliegenden Seite heraus und standen wieder vor der riesigen Grasfläche. Die schwache Hoffnung, daß die Bäume möglicherweise das Gras vertrieben, löste sich in Nichts auf.
Grundy versuchte, die Palmen zu befragen. »Kennt ihr irgendeinen Ausweg?«
Die Palmen klatschten mit ihren Blättern Applaus. »Es gibt keinen Ausweg von hier! Das ist ja das Schöne am Immermoor.«
Eine Allegorie schwamm herbei und musterte sie prüfend. Sie sah genau wie die eine aus, die sie am Tag zuvor gesehen hatten. »Weißt du einen Ausweg von hier?« fragte er sie.
»Nun, metaphorisch gesprochen schon«, fing die Kreatur an.
»Ja oder nein?«
Die Allegorie lächelte mit ihrer langen und zahnigen Schnauze. »Nein.« Dann schnappte sie nach ihm.
Grundy sprang zurück, auf diesen Angriff war er vorbereitet gewesen.
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