Turm-Fraeulein
aber nicht!« rief er, als er Grundy erkannte. »Und wer sind diese beiden Golemmädchen?«
»Das hier ist Threnodia«, sagte Grundy und zeigte auf sie. »Du kennst sie schon, normalerweise ist sie größer. Und das hier ist Rapunzel, Ivys Brieffreundin. Ich habe sie aus dem Elfenbeinturm befreit, auf dem Weg zu dir, bevor ich dich rette.«
»Mich! Ich muß aber gar nicht gerettet werden!« protestierte Stanley.
»Was sagt er da?« fragte Jordan.
»Er sagt, daß er keiner Rettung bedarf«, erklärte Grundy.
Dann wechselte er wieder in Drachensprache über. »Warum bist du dann nicht zu Ivy zurückgekehrt?«
Nun blickte Stanley sehr traurig drein. »Das würde ich ja gerne, aber ich kann nicht.«
»Halten die Faune und Nymphen dich davon ab?«
»So kann man das nicht sagen.«
»Dann bist du doch frei und kannst gehen, oder etwa nicht?«
»Nein.«
Grundy wandte sich an die anderen. »Er sagt, daß sie ihn nicht gefangenhalten, daß er aber nicht frei ist, um zu gehen.«
»Das ergibt doch gar keinen Sinn«, meinte Jordan.
Doch nun schwärmten die Faune und Nymphen wieder um Stanley, drückten und küßten und neckten ihn, und seine Aufmerksamkeit war abgelenkt; es hatte keinen Zweck, ihm jetzt noch weitere Fragen stellen zu wollen. Threnodias Augen verengten sich. »Ich glaube, ich beginne zu ahnen, weshalb er nicht unbedingt weg will«, meinte sie.
Grundy nickte. »Wer würde das schon wollen?«
»Ach so, du magst also eine solche Behandlung?« fragte Rapunzel.
»Na ja…«
»Ich dachte, daß du es vielleicht nicht magst.«
»Wir müssen uns etwas überlegen, wie wir Stanley dazu bringen, nach Hause zurückzukehren«, lenkte er knurrig ab.
Doch je mehr sie vom Lager der Faune und Nymphen mitbekamen, um so unwahrscheinlicher erschien es ihnen, daß ihre Mission Erfolg haben würde. Diese Wesen schienen den ganzen lieben Tag mit unschuldigen Vergnügungen zu verbringen, mit Schwimmen, Spielen, Essen, Lachen und fröhlichen Gesprächen. Nicht einmal fiel ein böses Wort. Alles wirkte fröhlich und heiter. Die Besucher wurden zu Wasser, zu Berge und in den Bäumen willkommen geheißen.
Threnodia bemerkte, wie Jordan einem halben Dutzend grünhaariger Dryaden zusah, die in den weitverzweigten Ästen eines alten Ahornbaums spielten. Die Nymphen stießen schrille Schreie der Freude aus, während sie einander jagten, und ihre Arme und Beine blitzten allerliebst auf, ihre nackten Busen hoben und senkten sich, und ihre Zöpfe wirbelten wild umher. »Ich glaube, ich sollte wohl lieber wieder Menschengröße annehmen«, murmelte sie finster.
Inzwischen war ein Trupp von Orefaunen damit beschäftigt, am Seil den mittleren Berg zu erklimmen. Es gab zwar kein eigentliches Ziel, und die Herausforderung war auch nicht besonders groß, da es ein sehr kleiner Berg war, doch schienen sie ihr Tun einfach zu genießen. Es sah aus, als hätten sie so etwas noch nie zuvor gemacht. Ihre Hufe eigneten sich sehr gut für diese Art von Arbeit.
Die Najaden und Najfaune spielten Wasserpolo, sie warfen sich einen Ball zu, bespritzten einander und tauchten sich gegenseitig unter, sie hatten, sofern dies überhaupt noch möglich war, noch mehr Spaß an ihrem Spiel als die anderen.
Plötzlich entstand am hinteren Eingang zum Lager Unruhe. Ein Trupp Kobolde war aufgetaucht, mit Speeren und Keulen bewaffnet. »Die Jüngsten und Schönsten zusammentreiben!« brüllte der Koboldhäuptling. »Heute abend gibt es einen Festschmaus!«
Die Nymphen, die in ihre Gewalt gerieten, kreischten auf. Stanley spitzte die Ohren. Er hatte sich zu einem Nickerchen unter einem Baum niedergelegt gehabt, doch nun war er hellwach. Er staute eine Menge Dampf an und stürzte auf die Kobolde zu.
»Ein Drache!« rief der Häuptling entsetzt.
Die Kobolde ließen die sich wehrenden Nymphen los und flohen zum Pfad zurück. Stanley stürmte hinter ihnen her und röstete ihre Hinterteile mit heißem Dampf. Im nächsten Augenblick waren die Kobolde auch schon wieder verschwunden.
Die Nymphen nahmen ihre Spiele wieder auf, offensichtlich bekümmerte sie der Angriff der Kobolde nicht weiter.
Grundy schüttelte den Kopf. »Ich glaube, jetzt verstehe ich, warum er nicht fort kann«, sagte er. »Diese Faune und Nymphen sind völlig hilflos, wenn jemand sie überfällt. Sie wissen nicht, wie man kämpft. Sie können sich nicht organisieren. Sie vergessen alles Böse, sobald es vergangen ist. Wenn Stanley nicht hier wäre, würden sie schon bald von den Kobolden
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