Turm-Fraeulein
»Endlich habe ich sie gefunden!«
Nun wandte sich Grundy an Stanley. »Was wiederum bedeutet, daß du endlich auf Schloß Roogna zurückkehren und Ivy glücklich machen kannst, ohne die Faune und Nymphen schutzlos zurückzulassen.«
Stanleys Miene hellte sich auf. Der Gedanke gefiel ihm.
»Wir werden zusammen gehen, alle drei«, sagte Rapunzel. »Nun wird es mir nichts mehr ausmachen, mit den Menschen dort zusammentreffen.«
15
Elfenqueste
Sie hatten sich gegenseitig ihre Liebe eingestanden, doch Grundys Zweifel meldeten sich wieder, als sein Geist in seinen alten Zustand zurückkehrte. Rapunzel glaubte, daß sie ihn liebte – doch bisher hatte sie sich noch nicht mit der Kultur der Elfen oder der Menschen auseinandersetzen können. War es da richtig, sie eine Entscheidung treffen zu lassen? Auf Stanleys Rücken reisten sie zurück gen Schloß Roogna. Sie nahmen eine Route zwischen dem Parnaß und dem Ogersee, in der Hoffnung, so den Gefahren beider Gebiete ausweichen zu können. Es fiel beiden nicht leicht, sich festzuhalten, während der Drache voranpreschte, doch mit Hilfe von Schlingpflanzen, die sie um Stanleys Rumpf gebunden hatten, gelang es ihnen. Vielleicht machte diese unbequeme Art zu reisen Grundy noch nachdenklicher. »Du denkst schon wieder!« sagte Rapunzel vorwurfsvoll, als sie sein ernstes Gesicht sah.
»Na ja, angenommen, wir heiraten, und du stellst dann fest, daß du einen Riesenfehler begangen hast?« fragte er. »Daß du beispielsweise in Wirklichkeit zu den Elfen gehörst, zu einem Elfenmann?«
»Es ist aber kein Fehler!« beharrte sie.
»Aber du hast doch noch nie mit richtigen Elfen Kontakt gehabt! Wie kannst du dir da so sicher sein?«
Sie überlegte. »Nun, warum machen wir nicht einfach im Elfenreich Halt und sehen selbst? Das müßte dich doch zufriedenstellen.«
Sie nahm an, daß die Elfen sie nicht beeindrucken konnten. Grundy war sich dessen nicht so sicher. Doch ihr Vorschlag war akzeptabel. Wenn sie die Elfen überhaupt einmal aufsuchen sollte, dann hatten sie jetzt die richtige Gelegenheit dazu. Für ihn war es zwar schon zu spät, weil er sein Herz an sie verloren hatte, doch vielleicht war es für sie noch an der Zeit, sich zu besinnen. Er liebte sie und wollte, daß sie glücklich war – und zwar auf jene Weise, die für sie die beste war. »Ja. Ich werde mich umhören«, erklärte er.
Die Bäume in der näheren Umgebung wußten nichts von irgendwelchen nahegelegenen Elfenulmen. Fast war Grundy erleichtert. Angenommen, es gab keine Elfen auf ihrem Weg? Dann… Nein, Rapunzel mußte die Elfen kennenlernen und selbst ihre Entscheidung treffen, danach mußte sie mit der Gemeinschaft der Menschen vertraut werden und sich erneut entscheiden. Erst dann war alles rechtens.
Sie schlugen das Nachtlager auf und sahen sich nach einer Abendmahlzeit um. Vor Räubern brauchten sie sich nicht zu fürchten, denn Stanley war ein recht stattlicher Drache geworden. Es gab kaum Wesen, die einen Drachen belästigten; jene, die närrisch genug gewesen waren, es zu versuchen, waren im Laufe vieler Jahrhunderte aus dem Reich der Lebenden verschwunden. Sie bauten sich ein Nest aus Kissen, in dem sie schlafen konnten, und Stanley bildete um sie herum einen Kreis, die Schnauze auf den Schwanz gelegt, sanft vor sich hindampfend. Sie waren in Sicherheit.
Rapunzel nahm seine Hand, wie sie es stets tat. »Ich weiß, daß du versuchst, das richtige zu tun, Grundy«, sagte sie.
»Ich versuche es, ja«, erwiderte er.
»Ich begreife, daß die Männer überwiegend logisch sind, die Frauen hingegen überwiegend gefühlsbetont.«
»So ist es wohl.«
»Ich habe das Gefühl, daß dies ein Fehler ist.«
»Aber du warst es doch, die vorgeschlagen hat, daß wir…«
»Inzwischen habe ich Zeit gehabt, es mir anders zu überlegen.«
»Es dir anders…?«
»Es ist jetzt leichter, wo mein Haar doch kurz ist.«
Grundy hegte den Verdacht, daß die Sache für ihn nicht viel Sinn machte, wenn er allzu lange darüber nachgrübelte. Und doch – ein Großteil ihrer Magie hatte mit ihrem wunderschönen langen Haar zu tun gehabt, und vielleicht hing dessen Länge auch mit der Stärke ihrer Entschlußkraft zusammen. »Aber es wäre nicht recht, dich…«
»Mich zu lieben, ohne mir erst eine richtige Gelegenheit zu geben, meine anderen Möglichkeiten zu erkunden«, beendete sie für ihn den Satz. »Ich verstehe. Aber dennoch wäre es mir lieber, ich könnte dieser ganzen Sache aus dem Weg gehen.«
»Ich kann
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