Turner 01 - Dunkle Schuld
starb, als ich fünf war.«
»Wie viel älter war Ihre Schwester?«
»Sie war sechzehn.«
»Gute Frau?«
»Die Beste. Lebt jetzt in Arizona und hat drei Kinder.«
»Zieht ihre zweite Familie auf.«
Ich nickte.
»Meine Leute verschwanden, als ich fünfzehn war«, sagte Doc. »Wir haben nie rausgefunden, was aus ihnen geworden ist. Zwei von meinen Geschwistern waren jünger als ich, eines älter. Ich hab mich um uns alle gekümmert. Es ist ein Wunder, aber aus allen ist was geworden.«
»Das ist es, was eine Familie ausmacht.«
»Damals, ja.« Er trank seinen Kaffee aus, stellte den Becher auf den Schreibtisch und schob ihn zu Don Lee rüber, der ihn wieder auffüllte. »Kannst du, verdammt noch mal, Zucker reintun, um den Geschmack abzutöten?«, meinte Doc, und dann, an mich gewandt: »Was brauchen Sie?«
»In Anbetracht dessen, was ich habe, ist so ziemlich alles willkommen.«
»Sie haben die Akte gelesen?«
»Sheriff Bates hat sie mir gezeigt.«
»Weiß nicht, ob ich zu dem, was da drin steht, noch etwas hinzufügen kann.«
»Sie haben die Autopsie nicht selbst durchgeführt, richtig?«
»Nur die vorübergehende. Autopsien werden in der Hauptstadt gemacht. Technisch gesprochen bin ich nur der Gerichtsmediziner. Hierzulande ist das ein gewähltes Amt, man braucht noch nicht mal eine medizinische Ausbildung.«
Don Lee setzte an. »Es ist eine wichtige …«
»Es ist politischer Mist, das ist es. Kein anderer wollte das Amt, und das mit gutem Grund.«
»Der Körper war schon ein paar Tage dort, sagten Sie.«
»Lebendig war er schon eine ganze Weile da, bevor er tot dort war, und das waren drei, vier Tage.«
»Der Pfahl wurde so, wie der Mann da stand, in ihn hineingetrieben?«
»Kein Gedanke. Ich würde meinen, als er lag. Jemand hat so gut er konnte hinterher aufgewischt. Jede Menge Blutspuren. Das Bettzeug war aufgerollt. Hab so bei mir gedacht, vielleicht war er zurückgekommen und hatte sich nur kurz hingelegt, um später wieder wegzugehen.«
»Also wurde der Körper bewegt.«
»Auf jeden Fall. Irgendwann, nachdem der Pfahl in ihn hineingetrieben wurde - tot oder fast tot, kann man wirklich nicht sagen -, wurde er an diesem Gitter festgedrahtet.«
»Blut und Hautfetzen unter seinen Nägeln?«
»Sah so aus. Könnte auch nur Dreck oder Schmiere gewesen sein.«
»Vielleicht bringt uns das weiter. Ich nehme an, die State Police wird die Blutgruppe ermitteln und einen DNA-Test durchführen?«
»Was die Blutgruppe betrifft, ja. Alles, was darüber
hinausgeht, wird nach Little Rock oder Memphis geschickt, in eins von den großen Labors.«
»Sie sagen, wir sollen Geduld haben.«
»Viel Geduld.«
»Nichts weiter.«
Ich sah mich im Raum um. Bates schüttelte den Kopf, Don Lee ebenfalls.
»Über eine Sache denke ich immer noch nach«, sagte Doc.
»Okay.«
»Dieser Mann war da draußen, eine ganze Weile, auf der Straße.«
»Drei, vier Monate mindestens. Wahrscheinlich erheblich länger.«
»Wie kann es dann sein, dass er ganz weiche Hände hat?«
Kapitel Zwölf
Jahrelang war die Sache im Department bekannt als »Quatsch im Affenhaus«.
Wir wurden an einem Sonntagmittag angefunkt. Die Zentrale hatte einen Streifenwagen losgeschickt, aber der Lieutenant wollte, dass Detectives dazustießen. Ein halbes Dutzend Anrufe waren reingekommen wegen weiß der Himmel, was da draußen los war.
Es war eine dieser neuen Siedlungen nördlich der Poplar und in der Nähe der East High School, ein Sanierungsgebiet, in dem mit Brettern vernagelte Geschäfte, Restaurants und Secondhandläden abgerissen worden waren, um adrette Stadtgebiete hochzuziehen, Reihe um Reihe hübscher kleiner Häuser, jedes davon mit einem eigenen hübschen kleinen Garten vor und hinter dem Haus.
Als wir dort eintrafen, hatte einer der Typen eine Heckenschere in der Hand, der andere einen Pfahlbohrer. Wir brauchten eine Weile, um herauszufinden, dass sie im Garten des jeweils anderen waren. Es hatte mit Beschimpfungen über den Zaun hinweg angefangen, und als keiner im anschließenden Nahkampf erfolgreich gewesen war, hatten sie zu technischen Hilfsmitteln gegriffen. Einer war damit beschäftigt, jeden Busch und Baum im Garten des Nachbarn zu entlauben, einschließlich der Pflanzen in den Blumenkästen. Der andere war damit zugange, den Nachbargarten aussehen zu lassen wie nach einem Maulwurftreffen.
Die Uniformierten hatten die beiden gerade mit Worten weitgehend besänftigt, als wir dazukamen. Die zwei Jungs fuhren seit
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