TURT/LE: Gefährlicher Einsatz (German Edition)
»Sie irren sich.«
»Ach ja? Warum hatten Sie dann eine Waffe bei sich?«
»Zum Schutz.«
»Vor wem?«
»Entführern, zum Beispiel.«
»Es scheint nicht geholfen zu haben.«
»Ich bin davon ausgegangen, dass das afghanische Volk es zu schätzen weiß, wenn man versucht zu helfen, und sich an die internationalen Abkommen hält. Außer Ihren Männern hat das bisher auch jeder getan.«
Ein fast amüsiertes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Lassen Sie sich davon nicht täuschen. An der Oberfläche mögen sie freundlich und dankbar aussehen, aber darunter brodelt es gewaltig. Der Westen hat ihnen alles genommen, was sie noch hatten. Ihr Hab und Gut, ihre Ehre, ihre Familie.«
»Nur nicht ihre Freiheit.«
»Sie wissen überhaupt nicht, was das ist. Es ist leicht, von Freiheit zu reden, wenn man in einem reichen, mächtigen Land sitzt und es an nichts fehlt. Hier heißt Freiheit Armut, Gesetzlosigkeit, Anarchie. Aber darüber hat Ihr Präsident natürlich nicht nachgedacht, als er beschloss, Afghanistan zu ›befreien‹. Natürlich konnte er es nicht vorausahnen, während er auf seiner Luxus-Ranch in Texas darüber nachdachte, wie er die Angriffe auf sein Land rächen könnte. Er hat einen Schuldigen gesucht, und als er einen gefunden hatte, beschloss er, ihn zu vernichten, egal, was das für Millionen von Unschuldigen bedeuten würde.«
Insgeheim musste Jade eingestehen, dass er damit nicht ganz unrecht hatte. Bin Laden hatte Tausende auf dem Gewissen und es verdient, gejagt zu werden. Ob aber die Afghanen es verdienten, seinetwegen so zu leiden, war eine andere Frage. Das wollte sie jedoch auch nicht mit Mogadir diskutieren.
»Mein Land ist sicher bereit, für meine Freilassung zu zahlen.«
»Als Spionin sollten Sie eigentlich wissen, dass die USA keine Lösegelder zahlen.« Er betrachtete sie einen Moment prüfend und nickte dann. »Ah, ich verstehe. Sie wollten sich dumm stellen.«
»Die Hilfsorganisation kauft mich aber ganz sicher frei, wenn Sie sie kontaktieren.«
»Hier sind Sie mir mehr wert. Sollte ich irgendwann erfahren haben, was ich wissen möchte, werde ich noch einmal darüber nachdenken.«
Mogadir hatte ganz sicher nicht vor, sie freizulassen, egal was er behauptete. Selbst wenn er es gewollt hätte, er konnte es sich nicht leisten, dass seine Gegner davon erfuhren. Wahrscheinlich würde er sie töten lassen, ohne auch nur darüber nachzudenken. Obwohl im Raum drückende Hitze herrschte, fror Jade. Ihre Leute würden versuchen, sie zu retten, aber wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass sie rechtzeitig gefunden wurde? Das Gebiet war zu groß, zu wild und bergig, um ihren Aufenthaltsort schnell genug ausfindig zu machen. Eine einzige Chance blieb, wenn Kyla die Flucht gelungen war und die Informationen zu Mogadirs Rebellentruppe dabei helfen würden, sie zu finden. Wenn man einigen Leuten genug Geld oder sogar Asyl in den USA anbot, waren sie vielleicht bereit, ihren Kommandanten zu verraten. Dieser große Komplex war sicher nicht entstanden, ohne dass viele Leute davon erfahren hatten.
»Sagen Sie mir, was ich wissen will, und diese ganze unangenehme Situation hat ein Ende.« Er deutete auf ihren nackten Körper. »Sie können sich viel Leid ersparen, wenn Sie kooperieren.«
»Ich habe Ihnen alles gesagt.«
Sein Gesicht blieb ausdruckslos. »Nun, dann lasse ich Sie in Ihre Zelle zurückbringen. Sollten Sie Ihre Meinung irgendwann ändern, fragen Sie nach mir.« Damit drückte er auf einen Knopf und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Wenige Sekunden später ging die Tür auf, und die Wächter kamen herein. Abwartend blieben sie neben Jade stehen. Mogadir machte mit seiner Hand ein scheuchendes Zeichen. »Bringt sie zurück.« Er hatte wieder in seinen heimischen Dialekt gewechselt.
Wieder hakten die Männer Jade unter. Ihr fester Griff schmerzte auf ihren verbrannten Armen. Während sie den langen Gang entlanggeführt wurde, dachte Jade über ihre Begegnung mit Mogadir nach. Er war anders gewesen, als sie nach all den Berichten erwartet hatte. Höflicher, ruhiger, aber auch jünger. Da sie ihn auf etwa fünfundvierzig Jahre schätzte, musste er erst Anfang zwanzig gewesen sein, als er die Führung der Rebellengruppe übernommen hatte. Wenn sie ihn irgendwo auf der Straße getroffen hätte, wäre sie niemals darauf gekommen, dass er ein gefürchteter Warlord war. Doch wahrscheinlich war er genau deswegen so gefährlich – man unterschätzte ihn zu leicht.
Vor einer Metalltür
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