Twig im Dunkelwald
auf. Im nächsten Augenblick wurde er auch schon von der Flut der Kobolde unter dem mächtigen Torbogen hindurchgeschoben und in die Kolonie befördert.
Drinnen rannten die Kobolde in alle möglichen Richtungen auseinander. Twig plumpste hart auf den Boden, und hinter ihm strömten immer noch mehr Kobolde herein. Sie traten auf seine Hände und stolperten über seine Beine. Schützend hielt er einen Arm hoch, rappelte sich auf und versuchte zum Eingang zurückzugelangen, doch vergeblich.
Er wurde durch die Eingangshalle geschoben und geschubst. Schließlich landete er in einem der vielen von dort abgehenden Tunnel. Im Tunnel war es stickig und es roch aufdringlich süß. Die Wände waren klebrig und warm und glühten in einem intensiven Rosa.
»So helft mir doch«, bettelte Twig, während die Kobolde an ihm vorbeidrängelten. »Ich habe Hunger!« Ohne noch länger zu warten schnappte er sich aus einem der Körbe, die an ihm vorbeigetragen wurden, ein langes Saftholz.
Der Kobold, dem das Saftholz gehörte, funkelte ihn wütend an. »Das ist nicht für dich«, schimpfte er und nahm ihm das Saftholz wieder weg.
»Aber irgendwas muss ich doch essen«, protestierte Twig schwach.
Der Kobold kehrte ihm den Rücken zu und eilte weiter. Wut stieg in Twig auf. Er hatte Hunger und die Kobolde hatten etwas zu essen – aber sie wollten ihm nichts abgeben. Plötzlich explodierte seine Wut.
Der Kobold mit den Safthölzern war noch nicht weit gekommen. Twig drängelte ihm hinterher, machte sich zum Sprung bereit, warf sich an die Knöchel des Kobolds und – griff ins Leere.
Benommen setzte er sich auf. Direkt neben ihm blickte er in eine enge, in die Wand eingelassene Nische, in die der Kobold geeilt war. Grimmig lächelnd stand Twig auf. Der Kobold saß in der Falle.
»Du!«, brüllte er. »Ich will was von diesen Früchten, und zwar sofort.«
Die roten Safthölzer leuchteten in dem rosafarbenen Licht. Twig schmeckte das klebrig-süße Fleisch schon auf der Zunge.
»Ich habe es dir doch schon einmal gesagt«, sagte der Kobold und schwang den Korb von seinem Kopf herunter. »Sie sind nicht für dich.« Und damit schüttete er die gesamte Ladung Safthölzer in ein Loch im Boden. Twig hörte, wie sie einen langen Schacht hinunterpolterten und irgendwo tief unten mit einem dumpfen Plumps landeten.
Er starrte den Kobold mit aufgerissenem Mund an. »Was soll das denn bedeuten?«, fragte er.
Doch der Kobold entfernte sich ohne ein weiteres Wort.
Twig ließ sich auf den Boden fallen. »Idiot«, murmelte er.
Andere kamen mit Wurzeln, Früchten, Beeren und Blättern vorbei, doch keiner nahm irgendeine Notiz von Twig und seiner Bitte ihm etwas zu essen zu geben. Schließlich verstummte Twig. Niedergeschlagen starrte er auf den klebrigen Boden. Der Strom der Kobolde versiegte nach und nach.
Dann kam noch ein Nachzügler, der wegen seiner Verspätung leise mit sich schimpfte. Twig sah auf. Der Kobold schien nervös zu sein. Mit zitternden Händen kippte er eine Ladung saftiger gelber Kübelrüben in das Loch.
»Endlich«, seufzte der Kobold. »Und jetzt esse ich etwas.«
Essen! Was für ein wunderbares Wort. Twig wurde ganz schwindlig zumute. Er sprang auf und folgte dem Kobold. Sie bogen zweimal rechts ab und an einer Weggabelung links und gelangten in einen riesigen, höhlenartigen Saal. Der Saal war rund, von einer hohen Kuppel überwölbt und hatte glitzernde Wände und dicke Pfeiler, die aussahen wie tropfende Kerzen. Es war schwül und die Luft war mit dem bereits vertrauten, aufdringlich süßen Geruch erfüllt. Der Saal war zum Bersten voll, doch kaum ein Laut war zu hören. Die Kobolde starrten mit offenen Mündern und aufgerissenen Augen nach oben, genau auf den höchsten Punkt in der Kuppel. Twig folgte ihrem Blick und sah, dass sich von dort langsam ein dicker Schlauch herabsenkte. Aus seinem Ende quollen Schwaden rosafarbenen Dampfes, der die stickige Luft noch stickiger machte.
Einen halben Meter über einem Trog kam der Schlauch zum Stillstand. Die Kobolde schienen alle die Luft anzuhalten. Es klickte, etwas gurgelte, eine letzte Dampfwolke quoll heraus und dann schoss plötzlich ein mächtiger Strahl rosafarbenen Honigs in den Trog.
Beim Anblick des Honigs rasteten die Kobolde aus. Schreie gellten, Fäuste flogen. Wer hinten stand, drängte nach vorn, wer vorn stand, schubste seinen Nachbarn zur Seite. Die Kobolde kratzten und zwickten einander und zerrten an den Kleidern, denn jeder wollte unbedingt der
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