Twig im Dunkelwald
tropfte er auf das Messer und auf Twigs Hand. Die Ranke kam mit einem Ruck frei und Twig fiel wieder mit dem Kopf nach unten.
Hilflos baumelte er an den Füßen. Er bog den Kopf zurück und sah hinunter. Er schwebte direkt über der Bluteiche. Unter ihm waren die tausend rasierklingenscharfen Zähne, die er so gierig hatte klappern hören. Sie bildeten einen Kreis und funkelten in dem roten Licht.
Plötzlich gingen sie auf und Twig starrte in den tiefroten Schlund des blutdürstigen Baumes. Lautes Schlabbern und Schmatzen war zu hören. Der Gestank war entsetzlich. Twig würgte.
Nie würde er auf dem Schiff der Himmelspiraten mitsegeln, nie würde er ans Ziel kommen. Nicht einmal aus dem Dunkelwald hatte er es geschafft.
Mit letzter Kraft und wie besessen strampelnd, versuchte er sich wieder nach oben zu ziehen. Die Hammelhornweste rutschte ihm dabei über die Augen und er spürte, wie die aufgerichteten Haare sich dabei versteiften. Immer wieder streckte er den Arm nach oben aus. Endlich bekam er die Ranke zu fassen, doch ihm selben Moment ließ sie seine Knöchel los.
Haltlos baumelte er hin und her. Er schrie vor Angst und grub die Fingernägel in die Ranke. Statt sich von ihr loszuschneiden, versuchte er jetzt verzweifelt sich an ihr festzuhalten – sonst fiel er in den aufgerissenen Schlund der Bluteiche. Mit den Händen wollte er sich an der Ranke hinaufhangeln, doch war sie vom Schleim so glitschig, dass seine Finger immer wieder abrutschten. Für jeden Zentimeter, den er sich hochzog, rutschte er sechs Zentimeter nach unten.
»Hilfe«, jammerte er leise. »So hilf mir doch jemand.«
Die Ranke machte einen heftigen Ruck. Twig verlor den Halt und stürzte ab.
Mit den Füßen voraus und mit heftig rudernden Armen fiel er durch die Luft. Mit einem Übelkeit erregenden schmatzenden Geräusch landete er tief im höhlenartigen Schlund der Fleisch fressenden Bluteiche. Die Zähne über seinem Kopf schlugen zusammen.
Es wurde stockfinster. Ein hässliches Gurgeln dröhnte ihm in den Ohren. »Ich kann mich nicht mehr bewegen«, japste er. Der gewaltige Schlund zog sich um ihn zusammen und harte, holzige Muskelringe drückten immer fester zu. »Ich bekomme keine Lu … hu … huft mehr!«
Jetzt dachte er nur noch an das Eine, ein so schrecklicher Gedanke, dass er ihn gar nicht denken wollte. Ich werde bei lebendigem Leibe aufgefressen! Immer tiefer wurde er hinuntergezogen. Bei lebendigem Leibe …
Plötzlich lief ein Zittern durch die Bluteiche. Aus den Tiefen des Baumes stieg blubbernd und rumpelnd ein Rülpser auf. Ein fauler Wind blies an Twig vorbei und für einen Moment lockerte sich der Druck der Muskeln.
Twig rutschte zu seinem Entsetzen noch ein Stück tiefer. Wieder stellten die dicken Haare der Hammelhornweste sich auf, weil sie gegen den Strich gebürstet wurden. Wieder lief ein Zittern durch den Baum.
Das Gurgeln wurde lauter und die Bluteiche begann zu husten, bis der ganze schwammige Stamm von einem ohrenbetäubenden Tosen geschüttelt wurde. Twig spürte, wie von unten etwas gegen seine Füße drückte und ihn nach oben schob.
Dann lockerte sich plötzlich noch einmal der Schlund, der Twig gefangen hielt. Die Bluteiche musste den stacheligen Gegenstand loswerden, der sich in ihrem Hals festgesetzt hatte. Wieder rülpste sie und der Luftdruck, der sich tief unten aufgebaut hatte, explodierte mit einer solchen Gewalt, dass er Twig durch den hohlen Stamm nach oben katapultierte.
Mit einem lauten Knall schoss er inmitten einer Fontäne von Speichel und Schleim hoch in den Himmel. Einen Augenblick lang hatte er das Gefühl zu fliegen, immer höher hinauf, frei wie ein Vogel.
Dann ging es wieder abwärts. Krachend stürzte er durch die Äste, dem Boden entgegen. Er landete mit einem dumpfen Aufschlag. Alle Knochen taten ihm weh und für eine Weile rührte er sich nicht. Er konnte noch gar nicht fassen, was geschehen war.
»Du hast mir das Leben gerettet«, sagte Twig schließlich und strich über das Fell der Weste. »Danke für dein Geschenk, Ma-Tatum.«
Seine Glieder schmerzten, aber verletzt war er nicht. Etwas musste seinen Aufprall gedämpft haben. Vorsichtig betastete er die Erhebung unter sich.
»Au!«, protestierte eine Stimme.
Twig rollte erschrocken herunter und drehte sich um. Nicht etwas , sondern jemand hatte seinen Fall gelindert! Er schloss die Finger fester um das Messer, das er immer noch in der Hand hielt.
KAPITEL 6
Die Kolonie der Honigkobolde
U nsicher stand
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