Twig im Dunkelwald
metallischer Modergeruch stieg Twig in die Nase.
Er drehte und zog an der Ranke, biss sogar hinein, doch sie schmeckte so furchtbar bitter, dass er sofort ausspucken musste. Er drückte und zerrte, zwickte und riss, doch die Ranke war zäh. Er konnte ihren eisernen Griff nicht lockern und sich nicht befreien.
Da machte die Ranke plötzlich einen gewaltigen Ruck und riss Twig nach vorn.
»Mmpffff!« Unsanft landete er auf dem Waldboden, den Mund voller pampigem, braunem Lehm. Der Lehm schmeckte wie … Würstchen aus Tilderfleisch, nur ranzig und sauer. Er würgte und spuckte aus. »Halt!«, schrie er.
Doch der Schlingwürger dachte gar nicht daran. Unbarmherzig zog er sein Opfer holterdiepolter über Steine und Baumstümpfe, durch Waldnesseln und Wabbelkraut.
Dabei wusste Twig, dass ihm – so sehr die Dornen ihn auch stachen und so sehr er durchgeschüttelt wurde – das Schlimmste noch bevorstand. Als sie an einem Kammbusch vorbeikamen, versuchte er verzweifelt sich an einem Ast festzuklammern. Es ging um sein Leben. Wo war nur der Raupenvogel, jetzt, wo er ihn brauchte?
Der Schlingwürger blieb an einer Wurzel hängen. Ein wütendes Kreischen gellte durch den dämmrigen Wald, ein energischer Ruck lief in Wellen durch die Ranke. Twig hielt sich mit ganzer Kraft an den Zweigen des Busches fest, doch der Schlingwürger war zu stark. Der Busch sprang mitsamt den Wurzeln aus dem Boden und Twig wurde wieder über den holprigen Waldboden geschleift, diesmal noch schneller.
Der Boden, über den er gezogen wurde, war jetzt mit harten, weißen Gewächsen übersät, die knorpelige Auswüchse hatten und ihn schmerzhaft in die Rippen stießen. Die knubbeligen weißen Dinger wurden immer mehr und plötzlich begriff Twig, was er da sah. Knochen! Schenkelknochen, Wirbel, Rippen und grinsende nackte Schädel.
»Nein!«, schrie er gellend. »NEIN!« Doch niemand antwortete und das blutrote Licht erstickte seine Schreie. Er drehte den Kopf und spähte angestrengt in den Schatten vor ihm. Aus einem weißen Berg von Knochen ragte ein mächtiger, wulstiger Baumstamm heraus.
Der Stamm pulsierte quietschend und glänzte vor Speichel, der zähflüssig aus zahllosen klaffenden Saugrüsseln tropfte. Hoch über ihm, dort, wo die Äste sich verzweigten, hörte Twig das Knirschen tausender schnabelartig gekrümmter Zähne, die sich gierig und geräuschvoll öffneten und schlossen. Lauter und lauter und immer LAUTER wurde das Knirschen! Was er hörte, war die schreckliche Fleisch fressende Bluteiche.
Mein Messer, dachte Twig fieberhaft. Das Geklapper der Zähne wurde immer schneller, der Gestank immer ekliger und das Quietschen immer heftiger.
Aufgeregt tastete Twig an seinem Gürtel nach dem Namensgebungsmesser. Er bekam den glatten Griff zu fassen, zog es mit einer raschen Bewegung aus der Scheide, holte aus und ließ es mit aller Kraft herunterfahren.
Er hörte ein matschiges Splittern und ein Strahl glänzend grünen Schleims spritzte ihm ins Gesicht. Dann kam sein Arm mit einem Ruck frei. Er hatte es geschafft! Erleichtert wischte er sich den Schleim aus den Augen.
Ja! Da war er nun, der Schlingwürger, der hypnotisch über ihm hin und her pendelte, vor und zurück und wieder vor und zurück und hin und her. Wie gebannt starrte Twig ihn an und beobachtete, wie das abgetrennte Ende aufhörte zu tropfen und der Schleim sich zu einem knubbeligen grünen Tropfen erhärtete, der ungefähr so groß wie seine Faust war. Dann plötzlich riss die gummiartige Haut auf, der Tropfen zerplatzte und mit einem Ratschen sprang ein langer Fühler mit smaragdgrüner Spitze heraus. Zitternd nahm er die Witterung auf.
Ein zweiter Fühler sprang heraus, dann ein dritter. Twig war unfähig sich zu bewegen. Statt einer Ranke waren jetzt auf einmal drei da. Sie bäumten sich auf, bereit zuzuschlagen, und dann – fffschschsch – schossen sie auf ihn zu und schlangen sich um seine Knöchel.
Twig schrie vor Schmerzen und Angst. Dann, noch bevor er etwas tun konnte, riss der Schlingwürger ihm die Füße weg und zog ihn an den Füßen nach oben in die Luft.
Der Wald verschwamm vor Twigs Augen und das Blut schoss ihm in den Kopf. Fast hätte er auch noch das Messer fallen lassen. Er zappelte und wand sich und versuchte keuchend vor Anstrengung sich aufzurichten. Dann bekam er die Ranke zu fassen und stach auf sie ein.
»HIMMEL NOCH MAL, LASS MICH LOS!«, schrie er. Sofort quoll wieder grüner Schleim aus den Schnittwunden. Ölig und schlüpfrig
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