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Twig im Dunkelwald

Twig im Dunkelwald

Titel: Twig im Dunkelwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Stewart
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auf einem Wiegenliedbaum absetzen?«
    Es hatte keinen Zweck, noch höher zu steigen. Twig wusste, dass die oberen Äste des Wiegenliedbaums brüchig waren. Außerdem war es hier oben sehr kalt. Der schneidende Wind jagte ihm eine Gänsehaut nach der anderen über die nackten Arme und Beine. Twig schob sich auf die windgeschützte Seite des Stammes und machte sich an den Abstieg.
    Auf einmal verschwand der Mond. Twig hielt inne. Der Mond blieb verborgen und der Wind zerrte an seinen klammen Fingern. Ganz langsam stieg er weiter nach unten. Seine einzige Orientierung war die raue Rinde, die er mit den Füßen spürte. Ein Fehltritt und er würde in den sicheren Tod stürzen, Wig-Wigs hin oder her.
    Er hielt sich mit beiden Händen an einem Ast auf Kopfhöhe fest, trat mit dem linken Bein in ein Astloch im Stamm und ließ sich langsam hinab. Mit dem rechten Fuß tastete er im Dunkel unter ihm nach einem Tritt. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn.
    Immer tiefer streckte er sich. Die Arme taten ihm weh, sein linkes Bein fühlte sich an, als würde es gleich aus dem Hüftgelenk springen. Er wollte schon aufgeben, als er mit der Spitze des großen Zehs das ertastete, wonach er gesucht hatte: den nächsttieferen Ast.
    »Endlich«, flüsterte er.
    Er streckte die Arme vollends aus, nahm den linken Fuß aus dem Astloch und ließ sich weiter hinunter, bis beide Füße auf dem Ast standen. Mit den Zehen sank er tief in etwas Weiches, Flauschiges.
    »Nein!«, schrie er und zog die Beine erschrocken wieder an.
    Auf dem Ast war etwas, irgendein Tier. Vielleicht konnten die Wig-Wigs doch auf Bäume klettern?
    Blindlings mit den Beinen ausschlagend, versuchte er sich wieder am Ast hinaufzuziehen, an dem er mit beiden Händen hing, doch vergeblich. Er war müde. Seine Arme waren zu schwach und versagten auf halben Weg den Dienst. Seine Hände begannen abzurutschen.
    Schlagartig brach wieder Mondlicht durch das Laub. Helle, silberne Pfeile schossen durch die vom Wind geschüttelten Blätter. Muster aus Licht und Schatten spielten über den Baumstamm, über Twigs baumelnden Körper und über den Waldboden tief unter ihm.
    Twig drückte sein spitzes Kinn auf die Brust, bis es wehtat. Er wollte sehen, was auf dem Ast unter ihm saß. Was er sah, bestätigte, was er mit den Zehen gespürt hatte. Auf dem rauen Ast war etwas – genauer zwei Etwas . Es sah aus wie die pelzigen Tatzen eines großen Tieres, das den Baum heraufgeklettert kam um ihn zu fressen.
    Vorsichtig streckte Twig die Beine wieder aus und betastete die sonderbaren Wesen mit den Zehen. Sie waren kalt und bewegten sich nicht.
    Twig ließ sich nun ganz auf den Ast herunter und ging in die Hocke. Aus der Nähe betrachtet, waren die beiden Dinger überhaupt nicht pelzig. Sie sahen mehr aus wie zwei Bälle aus Spinnweben, die man immer wieder um den Ast gewickelt hatte. Twig schaute unter den Ast. Dort hing an einer seidenen Schnur ein Kokon. Natürlich hatte Twig schon Kokons gesehen. Taghair schlief in einem und er war ja im Wiegenliedwäldchen dabei gewesen, als der Raupenvogel geschlüpft war. Allerdings hatte er noch nie einen von so nah gesehen. Das längliche Ding, das da hing, war größer und viel schöner als die, die er kannte.
    »Wahnsinn«, flüsterte er.
    Der aus lauter hauchdünnen Fäden gefertigte Kokon sah aus wie aus Zucker gesponnen. Er war dick und bauchig, geformt wie eine riesige Flaschenbirne, schwankte im Wind hin und her und schimmerte im Mondlicht.
    Twig langte unter den Ast und ergriff die seidene Schnur. Dann hangelte er sich mit den Händen daran hinunter – vorsichtig, denn er wollte nicht noch vor lauter Eifer abrutschen –, bis er rittlings auf dem Kokon saß.

    Der Kokon fühlte sich merkwürdig an. Es war weich, wenn man ihn berührte, ganz unglaublich weich, aber zugleich so fest, dass er sich nicht verformte. Twig vergrub die Finger in dem dicken, seidigen Gespinst. Ein süßer, würziger Duft stieg auf.
    Ein Windstoß ließ den Kokon tanzen. Die dürren Äste weiter oben knackten und knisterten. Twig hielt erschrocken die Luft an und klammerte sich an die Schnur. Kreisend blickte er auf den vom Mondlicht gesprenkelten Waldboden tief unter ihm. Dort war etwas und scharrte geräuschvoll in dem dürren Laub und Twig konnte weder nach oben noch nach unten ausweichen.
    »Aber das brauche ich ja auch gar nicht«, sagte er zu sich. »Ich kann heute Nacht doch im Kokon des Raupenvogels schlafen.« Noch während er das sagte, durchlief ihn ein

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