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Twig im Dunkelwald

Twig im Dunkelwald

Titel: Twig im Dunkelwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Stewart
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Spitzen seines Backenbarts, sein Auge glänzte feucht.
    »Was fehlte dem Kind denn?«, fragte Twig.
    Der Captain kam wieder zu sich. »Nichts«, sagte er. »Nur hätte es überhaupt nicht geboren werden dürfen …« Er brach ab und wieder bekam sein Blick etwas Abwesendes. »Maris und ich standen vor großen Entscheidungen«, sagte er. »Ich war ehrgeizig. Ich wollte eines Tages selbst ein Himmelsschiff befehligen – und da war ein Kind ausgeschlossen. Kapitän oder Vater, das war die Wahl, vor der ich stand, aber im Grunde hatte ich mich schon entschieden. Ich sagte zu Maris, wir könnten zusammen fahren, aber sie müsste zwischen dem Baby und mir wählen. Sie wählte mich.« Er machte einen tiefen Atemzug. »Mutter Pferdefeder erklärte sich bereit uns das Kind abzunehmen.«
    Um das Feuer war es ganz still geworden. Die Piraten starrten verlegen zu Boden, von den Worten ihres Captains peinlich berührt. Tem Waterbork schürte mit einem Stock ausgiebig das Feuer.
    Der Captain seufzte. »So hatten wir es wenigstens geplant. Und da waren wir nun, himmelweit von Unterstadt entfernt, und stiegen immer höher.« Er nickte zu dem Schiff hinauf. »Der Steinpilot hat uns damals gerettet, wie er uns auch heute gerettet hat. Er löschte die Holzbrenner und warf die Ausgleichsgewichte ab und als das noch nicht reichte, kletterte er über die Reling und schlug auf den Flugstein ein. Mit jedem Splitter, den er abschlug, verlangsamte sich der Aufstieg etwas. Schließlich begannen wir zu sinken. Als der Rumpf des Schiffes die ersten Blätter berührte, waren wir zu sechst. Maris hatte ein Kind geboren.«
    Der Kapitän stand auf und ging aufgewühlt hin und her. »Was sollten wir tun?«, sagte er. »Wir waren im Dunkelwald gestrandet und den langen Fußmarsch nach Unterstadt hätte das Baby nicht überlebt. Gobtrax befahl uns das Kind loszuwerden. Er sagte, er könne nicht warten. Maris war verzweifelt, aber Gobtrax’ Leibwächter, ein riesiger Dickbauchtroll, machte unmissverständlich klar, dass er mir das Genick brechen würde, wenn ich nicht gehorchte … Was hätte ich also tun sollen?«
    Die Piraten schüttelten ernst die Köpfe. Tem stocherte im Feuer.
    »Wir verließen das Schiff und machten uns auf den Weg durch den Wald. Ich weiß noch, wie laut die Tiere nachts waren und wie still das Bündel in Maris’ Armen. Dann kamen wir in ein kleines Dorf von Waldtrollen …«
    Twig zuckte zusammen und seine Nackenhaare sträubten sich.
    »Seltsame Geschöpfe«, sagte der Captain nachdenklich. »Untersetzt, dunkelhaarig, nicht besonders helle. Sie leben in Hütten auf Bäumen … Ich musste Maris das Kind aus den Armen reißen. Wie sie mich ansah! Wie von jedem Lebenswillen verlassen. Sie sprach nie wieder ein Wort …« Seine Stimme versagte.
    Twigs Herz schlug immer schneller, kalte Schauer liefen ihm über den Rücken.
    »Ich wickelte das Baby in ein Umhängetuch«, fuhr der Captain fort. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »In das Tuch, das Maris zur Geburt des Kindes gemacht hatte. Eigenhändig bestickt hatte sie es mit einem Wiegenliedbaum als Glücksbringer, wie sie sagte. Ich legte das Bündel unter eins dieser Baumhäuser, dann gingen wir. Wir sahen uns nicht um.«

    Der Captain schwieg und starrte zu den dunklen Bäumen, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Twig fror trotz des Feuers. Er musste die Zähne fest zusammenbeißen, damit sie nicht klapperten.
    »Sie haben richtig entschieden, Captain«, sagte Tem ruhig. Der Captain sah ihn an. »Es war die einzig mögliche Entscheidung, Tem«, erwiderte er. »Ich konnte nicht anders. Mein Vater war Kapitän der Himmelspiraten wie schon mein Großvater und mein Urgroßvater. Vielleicht …«
    Twig dröhnte der Kopf. Das ausgesetzte Baby, die Waldtrolle, das Tuch – sein Kuscheltuch, das er immer noch um den Hals trug. Er starrte den stolzen Piratenkapitän an. Kann es sein, dass du mein Vater bist? Dass dein Blut auch in meinen Adern fließt? Werde ich also auch eines Tages Kapitän werden?
    Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Doch eines wollte Twig unbedingt noch wissen. »D … das Baby«, fragte er aufgeregt.
    Der Captain drehte sich zu ihm. Zum ersten Mal nahm er ihn richtig wahr. Die Augenbraue über der Klappe hob sich fragend.
    »Das ist Twig, Captain«, sagte Tem. »Er hat den Flugstein gefunden und …«
    »Ich glaube, er kann für sich selber sprechen«, unterbrach ihn der Captain. »Was wolltest du sagen?«
    Twig stand auf und sah zu Boden.

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