Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
immer mehr Nutzer fand, wurden auch Investoren, die auf der Tagung nach dem nächsten großen Ding suchten, auf Twitter aufmerksam. Ein junger Investor, Charlie O’Donnell, ein kleinerer Mann mit Meister-Proper-Glatze, sagte am Freitagnachmittag in einem Aufzug zu einem Freund, dass er kaum fassen konnte, was er erlebte.
»Das ist völlig verrückt«, sagte Charlie, nachdem er durch die Tagungsstätten geschlendert war und um sich herum überall Leute gesehen hatte, die an ihren Handys klebten und ständig nach neuen Tweets schauten. »Hier sind alle auf Twitter«, stellte er fest.
»Das muss ich Fred erzählen«, fügte er hinzu und holte sein Handy heraus, um eine E-Mail an seinen ehemaligen Chef zu schicken: Fred Wilson war Teilhaber der Union Square Ventures, einer bekannten Investmentfirma in New York City.
»Twittern Sie?«, fragte er Fred in der E-Mail. »Wenn nicht, sollten Sie es ausprobieren … Anfangs habe ich es nicht begriffen, aber jetzt kapiere ich, seit ich eine ganze Gruppe beim SXSW erlebe«, schrieb Charlie. »Ich würde niemals allen Leuten SMS schicken, die ich jetzt mit Textnachrichten erreiche … es ist wirklich eine einfache Möglichkeit, Gruppen und Einzelnen gleichzeitig zu simsen.«
Fred war nicht überzeugt und antwortete Charlie, so ein Dienst könnte niemals funktionieren, andere Firmen hätten ähnliche Produkte zu entwickeln versucht und seien alle gescheitert.
Aber bis zum Montagmorgen erlangte Twitter bei der Tagung eine so große Popularität und erregte so viel Aufmerksamkeit auf IT-Blogs, dass Fred umschwenkte. Am frühen Morgen saß er mit noch zerzaustem dunklem Haar da, trank Kaffee, ging auf Twitter.com und meldete sich an. »Probiere Twitter«, schrieb er und schickte damit seinen ersten Tweet.
Fred war damals 45 Jahre alt und bereits eine Legende in Investorenkreisen, weil er 1999 GeoCities für Aktienanteile im Wert von 3,57 Milliarden Dollar an Yahoo! verkauft hatte. Zudem stand er indem Ruf, versierte Vorhersagen über neue Internetdienste und -themen machen zu können. Nun saß er da und sah zu, wie ein Stream an Tweets auf seinem Bildschirm erschien. In einigen Kurznachrichten ging es um die Tagung, in anderen um Austin, und natürlich klagten Leute über ihren Kater vom Vorabend.
Eine der beliebtesten Beschäftigungen beim South by Southwest ist die Jagd nach kostenlosen alkoholischen Getränken. Nach einigen Tagen entwickelte Twitter sich für diese Schatzsuche zum Gegenstück des Dekodierrings in einer Cornflakes-Packung. Wenn Jack, Biz, Ev und Goldman in einer voll besetzten Bar saßen, Bier tranken und sich vom Trubel des Tages erholten, erlebten sie mehrmals, dass um sie herum plötzlich Handys klingelten und neue Textnachrichten anzeigten. Wie Klone schauten alle Menschen auf ihre winzigen Displays, lasen einen Tweet über eine neue Party, nahmen nacheinander ihre Jacken und verschwanden aus der Bar zum nächsten alkoholgetränkten Treffpunkt, zu dem Twitter ihnen den Weg wies.
Schon bald bezeichneten Blogger bei der Tagung diesen Massenexodus von einem Ort zum anderen als »Flocking« (Schwärmen).
In San Francisco verbrachten Jeremy, Blaine, Ray und die anderen Techniker das Wochenende im Büro damit, an der Optimierung der Server zu basteln und sicherzustellen, dass der Dienst während der kritischen Tage der Konferenz erreichbar blieb. Als es zu erheblichen Belastungsspitzen kam, hofften sie mit angespannt pochenden Herzen, dass die Webseite den Zustrom der Tweets überstehen würde.
Seit der Präsentation beim Love Fest – die mittlerweile nur noch eine ferne Erinnerung war, über die sie kaum sprachen – war Twitter mit gesundem Tempo gewachsen. Teils lag es daran, dass über den Dienst geredet wurde, vor allem aber war es der Tatsache zu verdanken, dass er mit Evs bekanntem Namen in Verbindung stand. Aber neben den Mengen an Neuanmeldungen in dieser Woche in Austin wirkten die vergangenen Monate, als sei Twitter bisher inZeitlupe gewachsen.
Als Ze Frank sich nun auf der Bühne anschickte, das beste neue Start-up zu verkünden, standen die Server vor einem erneuten Ansturm.
»And the winner is …«, sagte Ze Frank ins Mikrofon und schaute auf einen Zettel. Im Publikum wurde es vorübergehend still, während er sich vorbereitete, ihnen mitzuteilen, was sie ohnehin schon wussten.
»Twitter!«
Noah pfiff und klatschte bei der Bekanntgabe. Aber sein Glück erfuhr sofort einen Dämpfer, als Jack, Biz, Goldman und Ev aufstanden, sich an
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