Tybee Island
»Ich habe Tom angerufen.«
»Wozu?«
»Um unserer Freundschaft willen.«
Sie stellte das Glas Wasser hinter sich auf einer Kommode ab und verschränkte die Arme. »Nach deinem Gesichtsausdruck zu urteilen, hat sich Tom wohl von seiner besten Seite gezeigt.«
»Er macht sich Sorgen«, erwiderte er und zuckte mit den Schultern.
Jen wandte sich ab und verdrehte die Augen. Tom sollte sich besser um sein eigenes Leben kümmern und nicht von Australien aus in ihrem herumpfuschen. »Tom ist ein Idiot.«
»Weil er sich um dein Wohlergehen Gedanken macht?«
Jen winkte ab und entfernte sich noch weiter. Wenn sie anfing, über Tom zu reden, würde sie in Teufels Küche kommen.
Craig wandte sich ihr zu und musterte sie. »Was ist los zwischen euch beiden? In der Highschool habt ihr euch doch ganz gut verstanden?«
»Highschool ist Highschool. Und heute ist heute.” Sie rieb sich mit der Hand über die Stirn. Wenn sie bei diesem Thema bleiben würden, würde sie garantiert noch Kopfschmerzen bekommen.
»Was ist passiert?«
»Nichts.« Sie seufzte und sah ihm ins Gesicht. »Nichts.« Sie wünschte, es wäre etwas passiert. Etwas, das ihre Wut und Trauer verständlicher gemacht hätte und das sie der ganzen Welt hätte entgegenschleudern können. So waren es nur die Flausen einer Fünfundzwanzigjährigen.
Unbeirrt musterte er sie. »Was ist passiert?«
Stur erwiderte sie den Blickkontakt und wusste, er würde keine Ruhe geben, ehe er nicht eine Antwort erhielt. Aber welche Antwort sollte das sein? Sie wusste es doch selbst nicht. »Daniel hat mich wegen einer anderen verlassen.«
Mit zusammengekniffenen Augen wartete er. »Und?«, fragte er, als sie nichts weiter sagte.
»Nichts und!« Das war ja das Problem. Dass ihr Verlobter sie wegen einer anderen verlassen hatte, war das einzige offensichtliche Dilemma in ihrem Leben und selbst das war scheinbar für keinen anderen ein wirkliches Drama. Jeder tat es mit einem Schulterzucken ab .
Craig schüttelte den Kopf. »Und wie passt Tom da rein?«
»Er hat nichts mit der Sache zu tun. Niemand hat das.«
»Aber …« Er runzelte die Stirn und sah sie fragend an.
»Das Problem bin ich!« Mit der Faust klopfte sie sich mehrmals gegen die Brust. »Ich, ich ganz allein.«
Schweigend betrachtete er sie. In seinen Augen lag so viel Wärme, dass sie glaubte, dahinzuschmelzen. Warum war sie ihm nicht an dem Tag begegnet, an dem Daniel sie abserviert hatte? Vielleicht wäre sie dann nicht so tief gesunken und hätte sich nicht so gehen lassen.
»Was ist genau passiert?«
Jen verzog gequält das Gesicht und bemühte sich, die Tränen zurückzuhalten. Sie wollte vor Craig nicht weinen, wie das kleine Dummchen, für das sie vermutlich jeder hielt .
Aber als sie aufsah, lag noch immer Craigs fragender Blick auf ihr. »Jen?«
Sie seufzte. »Nichts, nichts ist passiert.« Sie zuckte mit den Schultern. »Es schien nur niemanden zu kümmern, dass Daniel mich verlassen hat.« Langsam schritt sie durch den Raum, ehe sie stehen blieb und ihn ansah. »Alle meinten nur: Oh, wie schade. Aber du bist ja noch so jung, du findest bald jemand anderen. Aber ich wollte niemanden anderen! Ich war sechs Jahre mit Daniel zusammen. Sechs verdammte Jahre! Ich wollte ihn heiraten. Mit ihm Kinder haben. Diese Beziehung war das Einzige, das ich je auf die Reihe gekriegt habe. Das Einzige, bei dem ich besser war als Tom. Den Highschool-Abschluss hab ich nur mit Ach und Krach geschafft. Durch das College hab ich mich mehr gemogelt als sonst etwas, und zur Uni wurde ich nur zugelassen, weil Dad einen entsprechenden Scheck ausgestellt hat. Aber Daniel war echt. Daniel habe ich geliebt. Ich habe alles in diese Beziehung gesteckt. Er hat mich davor bewahrt, eine völlige Loserin zu sein. Und dann«, krächzte sie und schnippte mit den Fingern, »war er plötzlich fort. Und alle meinten nur: Du bist ja noch jung. Du findest bald wen anderen. « Mit dem Daumenballen wischte sie sich die Tränen von den Wangen und schniefte. »Alle haben von mir erwartet, dass ich weitermache, als wäre nichts Großartiges passiert. F ür mich war es, als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggerissen , mir meine Daseinsberechtigung genommen. Und ich konnte noch nicht einmal trauern, weil, ich war ja so jung und würde einen anderen finden.« Die Wut und die Frustration darüber schnürten ihr die Kehle zu. Die Erinnerung daran, wie oft sie diese Aussage gehört hatte, fraß sie innerlich auf. »Und Tom ist
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