Tyggboren (Salkurning Teil 2) (German Edition)
und
wartete seine Antwort gar nicht ab. „Ich habe schon so viele Opferstäbe für
Larenni verbrannt, so viel gebetet, aber es hat alles nicht geholfen.“ Ihre
Stimme war klanglos, ihre Aussprache war seltsam: Manche Silben verzerrte sie
oder betonte die Wörter an den falschen Stellen. Als sie jetzt zu ihm aufsah,
bemerkte er außerdem, dass ein Auge leicht starr wirkte.
„Dieses Jahr muss ich wohl doch die Pilgerfahrt machen.
Und mich damit abfinden, dass ich nun der Herrin Kumatai gehöre und mir nichts
mehr bleibt, als ihre Gnade zu erflehen.“ Sie atmete tief ein. „Es ist ein
weiter Weg nach Norden hinauf. Ich weiß nicht, ob ich noch zurückkehren kann.
Wie sag ich das meiner Familie. Die Schande. Und –“ Sie beendete den Satz
nicht.
Im ersten Moment glaubte er, die Pilgerfahrt sei eine
Metapher fürs Sterben. Aber sie schien von einer realen Fahrt zu sprechen. „Du
solltest keine Reise machen. Das ist viel zu anstrengend“, widersprach er so
sanft wie möglich. „Du solltest dich ausruhen. Helles Licht und Lärm meiden.
Und beschäftige dich mit Dingen, die dir angenehm sind und die dich nicht
anstrengen.“ Was konnte er sonst für sie tun? Sie hatte vermutlich einen Tumor
im Kopf – und da blieb ihr nicht viel anderes, als aufs Sterben zu warten. Er
verschrieb ihr ein paar Kräuter, die Bin-Addali gegen starke Schmerzen empfahl,
und wünschte sich, er hätte Rakuutsp empfehlen dürfen.
„Und lass die Pilgerreise!“, sagte er noch einmal, als
sie aufstand. „Kumatai – Kumatai steht auch hier am Himmel und – und erhellt
die Nacht.“ Religion oder Metaphysik waren nicht sein Ding, aber er hatte das
Gefühl, dass er sie nur so erreichen konnte. Und tatsächlich sah sie sich zu
ihm um und nickte – erstaunt, als ginge ihr dieser Sachverhalt zum ersten Mal
auf. Nie hatte er sich so sehr wie ein Scharlatan gefühlt.
Und dann kamen doch noch andere: Mehrere gackernde
junge Städterinnen zum Beispiel, die den Besuch beim Hakemi für eine coole
Mutprobe hielten; sie starrten ihn an und redeten Schwachsinn, und mit einem
Smartphone in der Hand wären sie in keinem Shoppingtempel in London weiter
aufgefallen. Sie warfen vier kandierte Kirschen in seinen Geldkrug und
flüchteten dann unter quiekendem Gelächter. Oder die sehr entschlossene Frau,
die es ganz eindeutig darauf abgesehen hatte, es einmal mit einem exotischen
Hakemi zu treiben, und ihn in fürchterliche Verlegenheit brachte. Das gelang
auch einem Mann, der wie ein Büroangestellter aussah und ihn darüber ausfragte,
was man sich denn vorzustellen habe unter einem, der in den Weisheiten von Mikuntessla
und Bortikan unterwiesen war – ob es tatsächlich noch Schulen gäbe, die die
Heilkunst der Brogor lehrten und so weiter und so fort. Schließlich sagte
James, er käme aus London und hätte da einen sehr erfahrenen Lehrer namens
Chudderley gehabt. London , wiederholte der Mann, und Spott gerann in den
Falten seines verkniffenen Gesichts. Dann stand er auf und ging.
Die meisten suchten jedoch wirklich Hilfe. Selten
konnte er mehr tun, als ihnen zuzuhören und einen gesünderen Lebenswandel zu empfehlen.
Er schrieb Kräuter und Zubereitungsanweisungen auf und schickte die Leute damit
zum Kräuterhändler – ein Verfahren, das seinen Patienten neu war. Üblicherweise
verkaufte ein Hakemi seine Medizin selbst, wurde ihm gesagt, und meistens
handelte es sich dabei um ein oder zwei Wunderelixiere, die entsprechend teuer
waren. Sie waren überrascht, manche auch erbost, weil sie einen richtigen Hakemi erwartet hatten, aber die meisten fanden, dass dieser hier zumindest
nicht in die eigene Tasche wirtschaftete und ihnen außerdem geduldig zugehört
hatte.
Irgendwann trat er wieder in die grelle Mittagssonne
hinaus, um den nächsten hereinzubitten, und sah sich stattdessen wieder dem
Chef gegenüber. Der verkündete den Wartenden mit seiner besten Chef-Stimme, der
Hakemi des Stern von Montagu werde am Nachmittag wieder Patienten
empfangen, jetzt jedoch müsse er sich für eine Weile seinen Studien widmen. Sie
hatten das morgens schon abgesprochen – der Chef meinte, dass ein Hakemi nicht
dauernd verfügbar sein dürfte, weil die Leute das nicht zu schätzen wüssten. Dafür
hätte James dem Chef jetzt die Füße küssen können. Er war hungrig und durstig
und wollte sich endlich den Markt ansehen. Die schweißgetränkte Jacke warf er
zum Trocknen über den Hocker für die Patienten, dann kippte er den Krug mit
seinen Einnahmen auf den
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