Typisch Mädchen
der Bemerkung aus der Affäre zu ziehen: »Da fragst du heute abend den Papa, wenn er heimkommt«, oder aber, sie mit einer zündenden Idee für ein anderes Spiel abzulenken, um mich aus meiner hilflosen Situation zu befreien. Ich tue beides nicht. Dies aber nur, weil ich mich aufgrund meiner in letzter Zeit an mir selbst erfahrenen Haltung zum Thema Auto zwinge, beim Thema zu bleiben. Ich will ihr das Bild der Frau vermitteln, die auch etwas über das Auto weiß. Sie soll diesmal nicht den Eindruck gewinnen, Auto sei Männersache.
Ich selbst kam dabei der Lösung des Rätsels, warum Frauen sich für Technik nicht interessieren, einen Schritt näher. Unvermögen und Desinteresse der Mutter verhindern jeden Anstoß für die Tochter (siehe 22. August 1983). In den Fällen aber, in denen sich das Mädchen spontan aufgrund seiner allgemeinen Neugier für Technik interessiert, erhält es keine nachhaltige Unterstützung von der Mutter. Das Mädchen spürt nichts anderes als Desinteresse, Langeweile oder Unkenntnis der Mutter.
Bei einem Buben verweist die Mutter auf den Vater. Das Interesse wird wachgehalten, bis dieser zur Verfügung steht; beim Mädchen dagegen schläft die Sache ein. Die Mutter behält sie nicht als Nahziel ihrer Erziehungsanliegen im Auge.
Damit ist der erste Zugang zur Technik blockiert, das erste Interesse abgelenkt auf andere Gebiete, und zwar auf die Gebiete, von denen die Mutter etwas versteht, in denen sie lebt. So werden mütterliche und töchterliche Interessen identisch, so werden sich alle Frauen ähnlich.
Ich fühle mich als Mutter jetzt - spätestens jetzt - gefordert, mich mit Technik zu befassen.
Am Abend desselben Tages passiert folgendes: Klaus klopft die Beule im Auto aus. Er ist mit Hammer und dem sonst noch notwendigen Werkzeug beschäftigt. Er liegt neben dem Auto. Alles sieht bei ihm schrecklich interessant und wichtig aus. Anneli sieht begeistert zu. Ich koche in der Zwischenzeit im Haus. Die Botschaft, die Anneli dabei vermittelt wurde, ist eindeutig und gibt die kulturelle Barriere zwischen Frauen und Technik, die in engem Zusammenhang mit körperlichen Tabus steht, weiter. 20
Stellen wir uns eine Frau in der gleichen Situation vor, so schrecken wir allein schon vor dem Bild der auf dem Boden unter dem Auto mit gespreizten Beinen liegenden, ölver-schmierten, schwitzenden Frau zurück, wie sie mit vor Anstrengung verzerrtem Gesicht zum Beispiel einen Auspuff wechselt. Die meisten Frauen werden zunächst ganz spontan, wenn sie ehrlich sind, ein solches Bild weder für sich noch für ihre Tochter im Vorstellungsrepertoire haben. Und entsprechend dieser nicht vorhandenen Vorstellung bewegt sich dann auch unser Beispiel und das, was wir unseren Töchtern vermitteln: Technik ist für uns einfach kein Thema.
Ich muß für den Friedensarbeitskreis in der evangelischen Kirche ein Plakat abgeben und radle mit Anneli dorthin. Auf ihre Frage, wo wir hinfahren, gebe ich ihr zur Antwort: »Zum Pfarrer.« In unserem Fall handelt es sich aber um eine Pfarrerin, die Gemeinde hat nämlich eine Pastorin. Aber warum sage ich ihr das eigentlich nicht so? Ich kann mir offenbar trotz evangelischer Realität in meinem katholisch erzogenen Gehirn eine Pfarrerin nicht vorstellen. Da sie in meinen Denkmöglichkeiten nicht vorhanden ist, benenne ich sie auch nicht. Als das Plakat abgegeben ist und wir wieder gehen wollen, möchte Anneli unbedingt in die Kirche. Ich erkläre ihr, daß der Pfarrer zugesperrt hat, und erst jetzt - eine Minute, nachdem ich vor der weiblichen Personifikation des Pfarrers gestanden hatte - geht mir ein Licht auf! Ich erkläre Anneli nun, daß das eine Frau Pfarrer sei, und zwar die, die sie gerade gesehen habe. Anneli ist zufrieden und stellt fest, daß die Pfarrerin zugesperrt hat, weil sie ißt. Ich bin sehr bestürzt über meine eigenen Schwierigkeiten, mir die Frau in den »Männerberuf« hineinzudenken. Wie habe ich doch selbst unter der Ignoranz der Menschen gelitten, als ich Richterin war! Wie verzwickt mache ich doch alles für das Kind, verleugne die Wahrheit vor ihr, aus Angst, sie könnte zu kompliziert sein, und vergesse dabei völlig, daß das Kind alles unbelastet von meinen geschlechtsspezifischen Prägungen beobachtet und in sich aufnimmt. Ich war diejenige, die mit der eigenen Rollenvorstellung Grenzen setzte und damit sogar hinter die Wirklichkeit, die sich mühsam genug durchgesetzt hatte, zurückfiel. Ist es ein Wunder, wenn Rollen unbemerkt von
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