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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Grabrucker
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Barbara und ihrem Sohn Felix (zwei Monate jünger als Anneli) ein Treffen vereinbart. Felix kommt in Dunkelblau und Dunkelrot. Ich probiere Anneli nebenbei eine Angoramütze an in den Farbtönen Dunkel- und Hellblau, Weiß, Altrosa, Lila und Grau mit vielen verschiedenen Mustern, an der ich gerade stricke. Barbara bewundert die Mütze und stellt dann fest: »Schade, daß ich Felix so etwas nicht anziehen kann, Mädchen kann man doch viel schöner herrichten.« Ich frage nach dem Grund und erzähle ihr, daß die in den ersten zwei Jahrzehnten des Jahrhunderts Geborenen alle bis zum Alter von drei Jahren in Kittelchen gekleidet waren. Es kommt der empörte Einwand: »Aber ich kann ihm doch kein Kleidchen anziehen.« Alles in ihr scheint sich dagegen aufzulehnen; es ist für sie schier unvorstellbar, ihren Sohn in einen Kittel zu stecken. Als weitere Erklärung meint sie dann, sie wolle nicht, daß ihr Sohn von den andern Kindern und Leuten ausgelacht werde.
    Ich bemerke wieder einmal, wie schon so oft, die Angst der Söhne-Mütter, daß ihre Knaben für Mädchen gehalten werden könnten, wenn sie nicht eindeutig geschlechtsspezifisch angezogen sind. Deshalb scheiden bestimmte Farben (nicht nur Rosa) für Buben überhaupt aus. Woher haben die Söhne-Mütter solche Angst? Warum tun sie alles, damit der Bub nicht für ein Mädchen gehalten und deshalb womöglich ausgelacht werden könnte?
    Anläßlich dieser Szenen überdenke ich wieder einmal das »Kleidchenproblem« bei den Kleinkindern, die frühe geschlechtstypische Kleidung für unsere Kinder. Ist unsere Gesellschaft nicht wesentlich rigider in ihrer Kleiderordnung gegenüber kleinen Buben als gegenüber kleinen Mädchen? Söhne-Mütter halten sich an einen unausgesprochenen Kodex und vermeiden jede Kleidung bei ihren Söhnen, die etwa in der Farbe an typische Mädchenkleidung erinnern oder in der ihr Sohn gar für ein Mädchen gehalten werden könnte. Dagegen sind Mädchen in Bubenkleidung häufig zu sehen.
30. September 1983 (2Jahre, 1 Monat)
    Ellen war mit Martin in Monaco. Sie erzählt, man habe ihr das Schiffahrtsmuseum in Monaco als besonders sehenswert empfohlen. Sie sei dann tatsächlich wegen Martin dort gewesen, denn sie habe geglaubt, daß es für einen Buben bestimmt interessant und wichtig sei, alle die ausgestellten Objekte der Schiffahrt zu sehen. Gleichzeitig betont sie, daß sie sich mit einer Tochter das Museum niemals angesehen hätte, und wäre es als noch so interessant geschildert worden. Mit einem Mädchen hätte sie einen Einkaufsbummel in Monaco gemacht und sich in ein schickes Café gesetzt. Wieder das gleiche! Die Tochter ist auf den Interessenkreis der Mutter reduziert; beim kleinen Mann fühlt sich die Mutter verpflichtet, ihm die Besonderheiten der Welt zu zeigen.
    Ich gehe nachmittags weg, und Oma ist bei Anneli. Als ich nach Hause komme, die Puppe adrett frisiert dasitzt und Oma Anneli in deren Gegenwart sehr lobt, weil sie stundenlang schön frisiert blieb, merke ich, daß offenbar ausgiebig »Puppe und Anneli frisieren« gespielt wurde. Kurz darauf schiebt sich Anneli einen herumliegenden Steckkamm in die Haare und sagt: »Jetzt gehen wir ins Geschäft, dann schauen die Leute.«
    Gemeint ist wohl, daß sie ihre Schönheit bewundern lassen will. Ich bin mir sicher, daß diese bei Anneli völlig neue Gedankenkombination ihren Ursprung bei Oma hat. Als wir etwas später zu einem Besuch aufbrechen, verlangt sie dringend und völlig gegen ihre sonstige Gewohnheit, frisiert zu werden: »Jetzt muß ich mich frisieren, daß ich schön bin.«
    Ich höre es erstaunt. Das ist mir alles neu bei ihr. Ich kenne sie nur so, daß sie mir, wenn ich mit der Haarbürste einmal am Tag erscheine, um schlimmste Verfilzungen zu verhindern, wegläuft und sich anschließend mit beiden Händen ihre Haare wieder zerwühlt.
    Abends ist sie bei ihrer Babysitterin. Als sie zurückkommt, hat sie eine höchst kunstvolle Frisur mit allen möglichen Klammern, Spangen und winzigen Zöpfchen. Sie sieht mit ihren vielen Locken dazu sehr herzig und mädchenhaft aus -ein »Rosen-Resli«. Ich bin spontan ganz hingerissen; sie ist plötzlich mein kleines Mädchen, und ich sehe mich selbst in ihr vollkommen wieder als das »kleine Mädi von Mutti«. Ich lasse meinen Gefühlen freien Lauf und sage zu ihr: »Ja, siehst du aber nett aus.« Dann fotografiere ich sie einige Male, wobei sie ihren Kopf ganz still und steif hält, um nur ja nicht die Frisur zu gefährden, mit der

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