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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Grabrucker
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Generation zu Generation weitergegeben werden und wie eine zweite Haut sitzen?
16. September 1983 im Engadin (2Jahre, 1 Monat)
    Wir sitzen zu dritt im Wohnzimmer. Klaus spielt mit ihr am Boden. Ich erwähne nebenbei, daß ich etwas trinken wolle. Da sagt Anneli zu Klaus: »Papi, trinkst du ein Bier?« Ich merke an dieser Frage, daß beim Abendessen immer bloß Klaus derjenige ist, der Bier trinkt. Für Anneli ist die reklamehafte Verbindung zwischen Bier und Mann schon hergestellt.
    Wir blättern in dem Skizzenblock, den wir immer auf.Reisen dabei haben. Ich finde alle möglichen Zeichnungen, die im Lauf der Monate entstanden sind, von Tieren, Blumen, Häusern. Da taucht endlich eine von mir gezeichnete menschliche Figur auf. Uber der Zeichnung steht geschrieben »Mann«, und sie zeigt eine Figur in Hosen und Hut. Wieso habe ich ihr eigentlich nicht eine Frau gezeichnet? Wenn schon ein Mensch auftaucht, dann kann es nur ein Mann sein..Und da soll das Mädchen nicht erfahren, daß Männer immer Vorrang haben, weil sie »der Mensch« schlechthin sind. Später spielt Klaus mit ihr mit den Spielzeugautos. Ich weiß zwar in der Zwischenzeit, wo der Motor zu suchen ist, und kann auf Verlangen Auskunft darüber geben, aber von mir aus biete ich ihr das Spiel mit Autos nicht an. Immer noch nicht. Was mich selbst nicht interessiert, spiele ich auch nicht mit ihr.
    Mir fällt auf, daß Anneli hier im Engadin wieder besonders viele für sie interessante Männer trifft. Die Bauern mit den Traktoren, den Schaffner der rätoromanischen Eisenbahn, von dem sie die Fahrkarte kaufen darf, den Busfahrer im Postbus, der mit bombastischer Sonnenbrille, Kaugummi und einer phänomenalen Hupe ausgerüstet ist. Sie kann sich nach jeder Busfahrt kaum von ihm trennen, obwohl er sie keines Blickes würdigt und mit ihr überhaupt keinen Kontakt aufnimmt. Und erst all die Jäger mit ihren Gewehren; einer kommt sogar mit der Gemse auf dem Buckel den Berg herunter. Ich versuche ihr zwar nahezubringen, daß sie später auch Jäger werden könne, aber wir sahen keine Jägerin und haben nicht einmal von einer gesprochen.
    Sie zieht sich im Bad aus und sagt laut: »Ich bin ein Bub.« Klaus fragt nach: »Möchtest du denn einer sein?« Sie: »Ja!«
    Mich trifft fast der Schlag, als ich das höre.
    Es ist Jagdzeit im Engadin. Vor einem Hof sehen wir, wie ein Hirsch ausgeweidet wird. Anneli besteht darauf, die ganze Zeit zusehen zu dürfen. Zwischen den Schweizern und ihr entspinnt sich ein kleines Gespräch. Ich bemerkte, daß die Leute sie alle für einen Buben halten, und korrigiere es nicht. Sie will alles genau sehen und erklärt bekommen. Wohl deshalb sagen die Leute zu ihr, sie werde auch einmal Jäger werden und was sie dann alles machen werde, um den Hirsch zu schießen. Anneli stimmt zu und erzählt tagelang, daß sie Jäger werden wird. Ich bin in tiefster Seele überzeugt, daß sie ihr eine Zukunft als Jäger nicht ausgemalt hätten, wenn sie ihr Geschlecht gewußt hätten.
    Wir kommen in die Wohnung zurück. Ellen wartet mit dem vierjährigen Martin auf uns. Anneli erzählt ihr mit großem Enthusiasmus vom Hirsch-Schneiden und macht es in großartigen Bewegungen vor. Ellen sagt daraufhin zu ihr: »Da wirst du ja eine Metzgersfrau.« Sie weiß natürlich, daß Anneli ein Mädchen ist; aus diesem Grund kommt für sie auch nur in Betracht, die Frau eines Metzgers zu werden und nicht mehr der Metzger oder der Jäger selbst, wie es noch die Einheimischen bei ihr »als Buben« für möglich hielten.
20. September 1983 (2Jahre, 1 Monat)
    Martin schwärmt hier die ganze Zeit von seinem tollen Papa, der groß ist, alles kann und alles weiß. Er ist so toll, daß er sogar auf die ganz hohen Berge geht, auf denen oben der Schnee liegt. Keiner der Erwachsenen erzählt ihm daraufhin, daß da viele Leute raufgehen können und seine Mama auch schon auf so einen Berg gestiegen ist. Martins Feststellungen bleiben unwidersprochen. Die Größe seines Papas bleibt im Verhältnis zur Mama erhalten, die sich selbst auch nicht rührt. Anneli hört mit großen Augen zu und läßt ihre Blicke zwischen dem redenden Martin und den Bergen hin- und herschweifen. Da ich mir sicher bin, daß dies für Anneli und Martin kein Einzelfall war und bleiben wird, braucht es nicht zu wundern, wenn eine Bekannte von folgender Sentenz ihres viereinhalbjährigen Sohnes berichtet: »Mami, sind Männer wichtiger als Frauen?« - »Nein, wieso?« - »Weil du immer den Papi fragst, wenn

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