Typisch Mädchen
du eine Konservendose aufmachen willst oder ein Einmachglas mit Kompott- und das Essen ist doch wichtig.«
21. September 1983 (2Jahre, 1 Monat)
Wir machen auf einer Bergwiese Brotzeit. Die Würste, die wir essen, haben an den Enden Metallringe, die sich nicht einfach mit den Fingern entfernen lassen. Martin möchte sie entfernt haben. Seine Mutter sagt zu ihm, obwohl ich das Essen verteile und das Messer in der Hand habe: »Sag's dem Klaus, der kann dir die Ringerl runtermachen.« Offenbar sprechen sich die Frauen manchmal die Kompetenz in den allereinfachsten Dingen ab und geben selbst kleine Handgriffe in Gegenwart eines Mannes sofort an diesen ab. Ein wenig später erzählt Martin angesichts der hohen Berge, daß er, wenn er größer sei, mit seinem Papa da raufginge. Ich frage zurück, ob er das mit seiner Mama nicht könne. Er verneint heftig und betont, daß nur der Papa da so weit raufgehen könne. Ellen, obwohl auch sie sportlich ist und viel bergsteigen war, widerspricht nicht. Sicher will sie bloß nicht albern und eifersüchtig wirken und hat edle Motive für ihr Schweigen.
Wenig später mache ich mit einer anderen Freundin drei Tage lang größere Bergtouren; Anneli bleibt beim Vater zurück. Sie erzählt anschließend, als wir wieder zurück sind, daß sie, wenn sie groß sei, mit Mama und Sophie auf die ganz hohen Berge gehen werde, bis dahin, wo es weiß sei. Anneli plante aufgrund unseres Vorbildes immerhin ihre künftigen Touren schon mit Frauen im Gegensatz zu Martin.
24. September 1983 (2Jahre, 1 Monat)
Während einer Autofahrt redet Martin viel davon, was alles sein werde, wenn er groß sei. So werde er seine Freundin Andrea heiraten, die dann Andrea Huber heißen, also seinen Nachnamen tragen werde.
Im Auto sitzen der Vater von Anneli und Martins Mutter;
beide sind Juristen und wissen über unser Namensrecht Bescheid, nach dem es eben nicht so sein muß, daß die Frau den Namen des Mannes trägt. Keiner von beiden widerspricht oder stellt klar. Keiner sagt, daß dazu auch Andrea gefragt werden müsse. Der kleine Mann bestimmt jetzt schon über eine kleine Frau, ohne daß er von Erwachsenen eingeschränkt oder wenigstens auf die Realität hingewiesen würde. So entsteht ungebrochenes Selbstbewußtsein der Buben gegenüber Mädchen.
27. September 1983 (2Jahre, 1 Monat)
Es gibt in Ftan in den letzten Tagen mehr Süßigkeiten als sonst.
Wir sitzen vormittags im Bus, um zu einem Ausflug loszufahren. Ich beobachte ein wenig die Leute, Es steigt eine zierliche, hübsche junge Frau ein. Ihr nettes Gesicht wird schön, wenn sie beim Lachen ihre makellosen Zähne zeigt. Ich bewundere sie.
Plötzlich ist mir klar, daß zwischen schönen Zähnen und einer angenehmen, sympathischen Erscheinung einer Frau im üblichen Sinn ein enger Zusammenhang besteht. Ich bin sofort wild entschlossen, bei Anneli nicht mehr nach den Süßigkeiten das Zähneputzen zu vergessen und auf entsprechende Tricks hereinzufallen. Von diesem Tag an wird bei Anneli die abendliche Zähneputz-Aktion konsequent durchgeführt. Schließlich möchte ich, daß sie auch als Erwachsene gut aussieht.
Martin, ihr Freund, wird übrigens von seiner Mutter mit Zähneputzen nicht malträtiert. Ist Anneli mit ihren zwei Jahren im Hinblick auf ihr späteres Aussehen bereits Opfer des Zwangs zu weiblicher Schönheit?
Auf Vorhaltungen von Klaus, daß ich Anneli zu niedlich anziehe, lasse ich sie ein paar Tage in Ftan nur in Trainingsanzug und Gummistiefeln rumsausen.
Heute nachmittag geht sie mit Klaus vier Stunden weg. Als sie wiederkommt, ins Zimmer stürmt und zu reden anfängt, sehe ich sie in ihrem schlampigen, dreckigen Aufzug mit ganz anderen Augen - sie sieht wie ein Bub aus, viel gewichtiger und ernster zu nehmen als sonst. Ihre ganze Haltung und Aktivität legen mir sofort das Bild eines Buben nahe, und ich ertappe mich dabei, wie ich mir in ihr einen kleinen Buben vorstelle. Deshalb will ich sie nicht liebevoll kuschelnd in den Arm nehmen und ihr erst einige Bussis abbetteln, sondern lasse sie reden und nehme sie mit dem, was sie erzählt, wichtiger als meine momentanen Gefühle.
Es ist erschreckend für mich, das festzustellen. Wenn es tatsächlich immer so ist, daß wir Mütter die Buben von vornherein wichtiger und ernster nehmen, dann muß natürlich die »Atmosphäre« so mit Vorteilen für die Buben angereichert sein, daß das Selbstbewußtsein der Buben wie angeboren wirkt.
29. September 1983 (2Jahre, 1 Monat)
Ich habe mit
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