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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Grabrucker
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Anneli zeigt der Verkäuferin stolz ihren Schraubenzieher. Da sagt diese erstaunt und in skeptischem Ton, nachdem sie sich nach ihren Namen erkundigt und auf diese Weise erfahren hat, daß sie ein Mädchen vor sich hat: »Ja, kannst du denn dann auch mit Nadel und Faden umgehen, oder willst du gar eine Handwerkerin werden?«
20. Oktober 1983 (2Jahre, 2 Monate)
    Wir sind mit einer Bekannten und ihrem vierjährigen Sohn aufs Land gefahren. Weil wir auf einem Bauernhof wohnen, werden die Kinder nicht jeden Abend gebadet. Eines Tages, als wir Frauen mit den Kindern auf der Wiese scherzen, uns im Gras kugeln, uns umschlingen, hüpfen und rollen, der körperliche Kontakt jedenfalls sehr eng ist, stellt die Bekannte unvermittelt - vor den Kindern - mir gegenüber folgendes fest: »Die kleinen Mädchen stinken immer irgendwie unten herum; ich hab das schon bei seinen (des Sohnes) kleinen Freundinnen gerochen, und bei Anneli merk ich es auch wieder. Die riechen irgendwie schlecht. Bei den kleinen Buben ist das nicht so; da hab ich noch nie was gerochen, die stinken nicht.«
    Diese Bekannte hatte noch nie Bücher des Psychoanalytikers Theodor Reik gelesen, aber das von ihm vertretene frauenverachtende Gedankengut scheint so große Verbreitung gefunden und solch nachhaltigen Eindruck hinterlassen zu haben, daß seine Bücher selbst offenbar gar nicht mehr gelesen werden müssen. Reik erklärt nämlich die Ursprünge der Sauberkeit der Frau so: »... einen (Ursprung) in den Tabus von Stämmen, den zweiten in der Tausende von Jahren später erfolgten Erkenntnis (Hervorhebung d. Verf.) ihres eigenen, weiblichen Geruchs, besonders was die schlechten Gerüche angeht, die durch die Sekretion ihrer Genitalien entstehen.« 21
    Hat das Patriarchat eigentlich auch schon unseren Geruchssinn verändert? Verstehen wir die Frau nur noch als jemanden, der von Natur schlechte Gerüche ausströmt, und nehmen wir den Geruch eines mehrere Tage ungewaschenen Penis schon gar nicht mehr wahr? Vielleicht liegt es daran, daß uns Frauen schon als kleine Mädchen gesagt wurde, daß wir stinken.
    Wir fahren nach München, um Klaus von der Arbeit abzuholen. Die Unterhaltung dreht sich um Papis Arbeit. Anneli erzählt, daß Papi im Büro arbeitet. Das habe ich ihr gesagt. Da fragt sie mich, ob ich auch ein Büro habe. Ich sage, daß ich jetzt keines habe, aber wenn sie größer sei, ginge ich wieder zur Arbeit und hätte dann auch eines. Sie kommentiert: »Dann gehst du arbeiten und bist der Papi, und Klaus bleibt bei mir.«
    Arbeiten ist also mit der Papa-Figur verbunden. Papa steht aber gleichzeitig für Mann.
    Sie bemerkt im Straßenverkehr etwas und fragt: »Warum fährt denn der Mann so?« Ich gebe zurück, ob es denn nicht auch eine Frau gewesen sein könne, denn in dem Auto, auf das sie deutet, konnte sie das Geschlecht der Fahrerin nicht wahrnehmen. Unbekannte Personen, deren Geschlecht nicht eindeutig wahrzunehmen ist, sind als Mann definiert. Hat Anneli das Männerprimat unserer Sprache für sich bereits übernommen?
    Polizisten erfreuen sich in letzter Zeit bei Anneli und ihren Freunden großen Interesses. Es sind aber immer nur männliche Polizisten zu sehen. Ich warte sehnlichst, aber vergebens auf eine Polizistin am Steuer eines Polizeiautos! Sie sieht eine große Reklameschrift in der Stadt an der Wand und fragt: »Welcher Mann hat das denn geschrieben?« Ich mache wieder einmal den Einwand, daß das ja auch eine Malerin gewesen sein könne!
26. Oktober 1983 (2Jahre, 2 Monate)
    Wir sind zu Besuch bei der Mutter eines vierjährigen Sohnes. Ich weiß, daß die Gastgeberin von kleinen Mädchen in netten Kleidchen schwärmt. Also habe ich Anneli ihr einziges, von einem anderen Kind übernommenes Kleid angezogen. Erst abends fällt mir ein, daß ich entgegen meinen eigenen Intentionen Anneli in eine besondere Kleidung steckte, um sie als Mädchen anderen gefallen zu lassen. Sie wurde auch entsprechend bewundert. Dieses Training entfällt bei Buben natürlich vollständig.
    Die Bekannte erzählt dann von einer Hauseinweihung, zu der sie eingeladen war, und zeigt sich entsetzt darüber, daß dieses Haus mit weißen Teppichböden ausgelegt sei, obwohl die Eigentümer ein kleines Kind hätten. Fast im gleichen Atemzug schwächt sie ihr Entsetzen ab: »Aber das Kind ist ja ein Mädchen, und Mädchen kann man eben doch irgendwie besser zur Sauberkeit anhalten als Buben. Die Buben sind eben hoffnungslose Dreckspatzen. Ich weiß auch nicht, wieso, aber

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