Typisch Mädchen
die sie ihm neulich erst gekauft habe.
Oft wird von Söhne-Müttern zum Beweis ihrer geschlechtsneutralen Erziehung die Puppe angeführt, die sie ihrem Sohn zum Spielen gaben. Gleichzeitig dient dann die Ablehnung oder das Desinteresse an der Puppe als Argument dafür, daß es eben doch typisches angeborenes Bubenverhalten gebe.
Ich frage nun genauer nach, ob Sebastian vielleicht schon früher eine Puppe gehabt habe und ob Oma, Mutter oder Babysitter mit ihm gemeinsam denn schon mal mit einer Puppe gespielt hätten. Da lacht seine Mutter lauthals und verneint. Die Frage amüsiert sie sehr. Sie antwortet: »Was, noch früher eine Puppe schenken? Aber er hat doch sowieso immer bloß mit seinen Autos gespielt. Puppenspielen mag ich aber nicht mit ihm. Weißt du, wenn er nicht von selber mit seiner Puppe spielt, dann kann ich ihm das doch nicht aufzwingen. Ich will ihn da nicht dominieren. Und was hätte er dann auch im Kin-dergarten davon und bei den anderen Kindern, wenn er auf einmal nur mit den Mädchen in der Puppenecke säße. Das könnte schon sein, daß er dann ausgelacht würde.« Wir reden weiter über Belanglosigkeiten. Nach dem dritten Satz beginnt jetzt eine Lobeshymne auf die Handwerkelei des Buben und darauf, wie geschickt und begabt er darin doch sei. Da die Mutter wohl ahnt, daß ich auf geschlechtsspezifische Erziehung reagiere, lobt sie nun ihren Sohn, daß er gelegentlich sogar spielerisch mitkoche und sie ihm auch das Staubtuch in die Hand drücke. Diese Vorgänge werden nun lang und breit erzählt und finden ausgiebige mütterliche Bewunderung vor den Ohren des Sohnes. Bei ihm muß jedenfalls der Eindruck entstehen, wenn er kocht, ist das etwas ganz, ganz Besonderes.
20. November 1983 (2Jahre, 3 Monate)
Anneli holt sich aus der Schallplattensammlung eine Schubert-Symphonie heraus und will sie hören, weil ihr das Plattencover so gut gefällt. Dann fragt sie: »Welcher Mann spielt denn da?«
Ich verschlucke gerade noch als Antwort: »Irgendeiner, den ich nicht kenne« und weise sie darauf hin, daß die Musik ja auch von einer Frau gespielt sein kann und daß ich nicht weiß, ob das gerade ein Mann spielt. Daraufhin fragt sie nach dem Namen der Frau. Ich erfinde irgendeinen Frauennamen. Das Erschrecken darüber, wie sehr das Männliche bei ihr bereits als selbstverständliches Prinzip gilt, sitzt mir ganz schön in den Knochen. (Erst später, am 18. September 1984, werde ich den Zusammenhang verstehen.)
Wir besuchen Schorschi. Heute nehme ich zum erstenmal bewußt wahr, daß seine Puppe einen Penis hat. Wenn schon Puppe, dann wenigstens männlich!
Wir haben Krach. Ihr Vater und ich streiten in der Küche, sie sitzt im Eßzimmer und wartet aufs Essen. Ich habe den Streit angefangen und brülle ziemlich laut. Er auch. Im Verlauf dieses Streites fange ich aus Wut zu heulen an. Beim Essen versucht sie mich zu trösten und fragt: »Warum hat dich denn der Papi geschimpft?« Ich bin sehr aufgebracht über die Wirkung, die meine Tränen bei dem Kind hervorgerufen haben, und versuche ihr zu erklären, daß auch ich den Papi geschimpft hätte. Aber diese Erklärung beeindruckt sie in keiner Weise, sie bleibt dabei, daß ich geschimpft worden sei. Sie empfindet, daß ich aufgrund meines Weinens der schwächere Teil bin, der Teil, der ausgeschimpft werden kann. Dabei überträgt sie ihre Erfah-. rungen mit solchen Situationen auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau. Da sie heult, wenn ich sie schimpfe, und sie in unserer Beziehung die Schwächere ist, muß zwangsläufig die Person, die schimpft, ohne zu weinen, die sein, die im Recht ist: die Stärkere. Tränen sind das Zeichen der Unterlegenheit, der Schwäche, des »Folgenmüssens« für das ^ Kind. Ellen erzählt, daß ihr Sohn Martin auf ähnliche Szenen ebenfalls mit der Frage reagierte, warum der Papa sie schimpfe.
Ich erinnere mich dabei an meine eigene Kindheit. Bei Streitereien empfand ich meine weinende Mutter immer als schwach und solidarisierte mich mit ihr. Der Vater dagegen war in diesen Augenblicken der dräuende, tobende Starke, der meine Mutter zur Schnecke machen konnte und dessen Zorn besser ! nicht hervorgerufen wurde.
Ich sehe daraus, daß das bestehende Herrschaftsverhältnis zwischen Mann und Frau bereits in diesem Alter (zweiein-viertel Jahre) begriffen wird, und zwar unter anderem auch aufgrund der Tatsache, daß die Frau schneller ihre Wut und Traurigkeit durch Tränen zeigen kann. Diese Ähnlichkeit der Frau in der
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