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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Grabrucker
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besonders schön anziehen würden, weil heute endlich der Nikolaus käme.
    Vormittags sagte sie unvermittelt zu mir: »Ich bin noch so klein, ich hab noch kein Baby.« Die stets antwortbereite Mutter will gleich losplatzen: »Aber wenn du groß bist, wirst du auch eines haben.« Ich schweige aber, weil mir einfällt, daß möglicherweise ein Teil des dringenden Kinderwunsches der meisten Frauen aus einer Vielzahl solcher Zukunftsprojektionen herrührt.
7. Dezember 1983 (2Jahre, 4 Monate)
    Ihr Vater und ich haben wieder mal Krach. Ich brülle laut und heftig und heule diesmal nicht. Klaus hält sich dagegen zurück und sagt wenig. Anneli sagt zu mir: »Mami, warum schimpfst du denn den Papi?«
    Eine Bekannte erzählt von Weihnachtsgeschenken. Unter anderem davon, daß sie dem sechsjährigen Nachbarsbuben eine Bauanleitung zum Flugzeugbau schenken werde, damit er mit seinem Water zusammen etwas basteln könne. Ich frage sie, ob sie das auch einem Mädchen schenken würde. Die Antwort ist ein klares Nein.
8. Dezember 1983 (2Jahre, 4 Monate)
    Sie baut bei einem befreundeten Kind mit dessen Duplo-Stei-nen drei Türme. Einen sehr hohen, einen mittleren und einen kleinen Turm. Dann stellt sie befriedigt fest, daß das Papa-, Mama- und Kindturm seien.
    Ihr Vater und ich sind gleich groß! Der Begriff »groß« bedeutet für Anneli nicht allein Größe, die in Zentimetern meßbar ist, sondern Können, Dürfen, Älter- und Wichtigersein.
    Ich gehe mit Schorschi und Anneli spazieren. Sie stellt sich wieder mal mit gespreizten Beinen und den Händen vor ihrem Geschlechtsteil vor einen Baum und schaut ihn an. Ich frage, was sie jetzt mache; sie wirkt verlegen, gibt keine Antwort und rennt weg. Ich frage noch einmal nach, ob sie jetzt gepinkelt habe wie ein Bub. Sie antwortet: »Nein, wie der Mann gestern.« (Gestern steht für die Vergangenheit.) Ich weiß nicht genau, wie ich ihr Verhalten interpretieren soll, nur glaubte ich zu bemerken, daß sie sich dafür genierte, etwas nachzuahmen, was sie originär einem Mann zuschreibt, als Männerverhalten definiert. Irgendwie findet sie es aber doch bemerkenswert, weil sie sich spielerisch damit beschäftigt. Ich entnehme dem jedenfalls für mich, daß öffentliches Pinkeln der Männer von Kindern in diesem Alter bereits wahrgenommen wird und ein Teilchen jener Atmosphäre ist, die Männern allgemein ein größeres Gewicht verleiht als Frauen. Nirgends konnte Anneli eine Frau öffentlich pinkeln sehen. Männer haben offenbar nichts zu verbergen, sich nicht zu genieren, wohl aber Frauen - oder? Die Öffentlichkeit ist also selbst in diesem Bereich von Männern mehr beansprucht.
19. Dezember 1983 (2Jahre, 4 Monate)
    Auf einer Autofahrt fragt Anneli unvermittelt, ob Hexen böse Frauen seien. Ich hatte mit ihr vorher noch nie über Hexen gesprochen, auch nicht in Geschichten, aber offenbar hat sie von einem älteren Nachbarskind etwas mitbekommen. Ich bin spontan bereit, auf ihre Frage mit einem klaren »Ja« zu antworten, da fallen mir gerade noch alle die Bücher ein, die ich zum Hexenwahn gelesen habe. Ich weiß doch genau, was es damit auf sich hat: 24 daß Frauen zu Hexen gemacht wurden. Ich verschlucke also das spontane »Ja« und erzähle ihr kindgemäß, daß Flexen gescheite Frauen sind, die viele Krankheiten heilen können, weil sie sich gut mit Kräutern, im Wald und in den Bergen auskennen und damit vielen Leuten helfen, daß sich Kinder nicht vor Hexen fürchten müssen, weil sie lieb seien. Anneli schmückt dann selbst das Leben der  Hexen noch ein bißchen aus, und so werden es vertraute Frauen. Wir spielen dann noch häufig in den nächsten Tagen Hexe, indem ich von ihr ein Kraut gegen Bauchweh verlange und sie die Hexe ist und mir hilft.
    Ich bin wieder einmal überrascht von meiner eigenen spontanen Bereitschaft, wider besseres Wissen einfach eine patriarchalische Lüge über Frauen an meine Tochter weiterzugeben. Ohne die Bewußtseinskontrolle, die mir dieses Tagebuch verschafft, hätte ich als Frau, die selbst zur Walpurgisnacht-Demo geht, alte Geschichten weitererzählt, Abends räume ich das Geschirr aus der Spülmaschine. Sie will helfen und die Teller in die Wandschränke stellen. Ich nehme sie ihr ab mit der Bemerkung, dazu sei sie noch zu klein. Sie ist gekränkt und erwidert: »Aber wenn ich groß bin und dann ein Bub bin, dann kann ich es auch.«
    Ich glaube nicht recht zu hören. Das Besondere, das Große ist für sie jetzt schon ein Bub. Ich kann mir nicht

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