Typisch Mädchen
beschäftigen, ihr den Fremdheitscharakter zu nehmen. Wir müssen uns aufdrängen, sie verweiblichen, um unseren Töchtern den Zugang zu ihr als Selbstverständlichkeit erscheinen zu lassen. So wie ich meinte, Anneli Technik dadurch nahebringen zu können, daß ich ihr Schraubenzieher, Hammer und andere »technisches« Spielzeug gab, ohne doch selbst damit zu leben, ist es falsch.
10. November 1983 (2Jahre, 3 Monate)
Mir fällt heute erst auf, daß Anneli in den letzten Wochen und Tagen mit zunehmender Häufigkeit nach dem »Mann von der Frau« fragt; sie hat die gesellschaftliche Zuordnung der Frau zum Mann irgendwie erfaßt. An die Frage schließt sich dann meist die Frage nach den Kindern der Frau an. Also Frau zu Mann und Kinder zu Frau!
Weiter fragt sie die Nachnamen sämtlicher ihr bekannter Väter, Mütter und Kinder ab und kommt so zum Ergebnis, daß Papi, Mami, Kind immer den gleichen Nachnamen haben -bis auf uns. Gott sei Dank verschont sie mich jetzt noch mit der Frage, warum es bei uns anders ist. Auf die Frage, warum denn der Felix, der Martin, der Schor^ schi usw. alle so mit Nachnamen heißen, werde ich wieder einmal wütend und deprimiert zugleich. Die Antwort: »Das ist der Nachname vom Papi, und deshalb heißen die Kinder so«, will mir nicht von den Lippen, obwohl es die einzige Erklärung ist. Ich empfinde es jetzt als besonders absurd, wo ich täglich sehen kann, wie die Kinder fast ausschließlich den Frauen Mühe und Plage verschaffen, wo ich sehe, daß die Frauen die Kinder nicht nur körperlich »geschaffen« haben, sondern mit jeder Stunde psychisch am Leben halten, Kinder also fast ausschließlich Produkte der Frauen sind. Die Frau geht auch darin unter, denn was bleibt, ist der Name des Mannes und der seiner Söhne. Und das durch alle Generationen-unsere Namen sind weggeworfen und vergessen. Wie wirkt auf ein zwei Jahre altes Mädchen die Information, daß der Name des Papis der einzige für die ganze Familie ist, daß die Mami gar keinen eigenen Namen hat? Wie wirkt das bei einem Buben, auch wenn er älter ist? Für mich ist das einer der vielen Punkte, die unausgesprochen die verschiedene Wertigkeit der Geschlechter vermitteln. Größeres Selbstbewußtsein der Buben ist nicht angeboren! Bescheidenheit, Zurückhaltung und Unsicherheit der Mädchen sind es ebensowenig.
11. November 1983 (2Jahre, 3 Monate)
Beim Spazierengehen läuft jemand an uns vorbei und lächelt Anneli zu. Die Person ist mittelgroß, etwas dick, hat kurze Haare, ist ungeschminkt und völlig unmodisch in schwarze Hosen und dunkle Jacke gekleidet. Anneli bleibt stehen, blickt ihr nach und fragt mich: »Ist das eine Frau oder ein Mann?«
Bei völlig neutraler äußerer Erscheinung - auch ich konnte das Geschlecht nicht definieren - hat Anneli offenbar Schwierigkeiten. Oder kann ich es so sagen: sie weiß bereits, wie man/frau auszusehen hat, um als Mann und Frau erkennbar zu sein? Immerhin fragt sie jetzt noch, ob es auch eine Frau sein könnte.
Felix, so alt wie Anneli, ist mit seiner Mutter zu Besuch. Sie erzählt Anneli, daß Felix' Vater eine Maschine geschenkt bekam, mit der er jetzt alles reparieren könne, und daß Felix ihm dabei fleißig helfe. Felix plappert begeistert vom Reparieren. Anneli bleibt uninteressiert und kühl bei diesem Thema. Wieso? Typisch Mädchen?
Weder Klaus noch ich hatten sie je aufgefordert, beim »Reparieren« zu helfen. Es gab kein Lob, kein Hervorheben. Ich meine, die Schlußfolgerung liegt nahe. Mir wird wieder klar:
Klaus und ich verhielten uns mit Anneli total rollenkonform, indem wir einfach nichts taten. Durch unsere Art, unser Verhalten selektierten wir für sie, schlossen sie aus. Abends kommt sie von ihrer Babysitterin mit einer großen Puppe zurück, mit der sie all das noch mal durchspielt, was Tini ihr mit der Puppe vorgespielt hatte.
12. November 1983 (2Jahre, 3 Monate)
Oma ist zu Besuch. Das Wetter ist schlecht, also fällt der Spielplatz für Anneli aus. Oma weiß sich aber zu behelf en. Es wird Puppenfrisieren gespielt und Puppen an- und ausziehen gelernt. Nach intensiven eineinhalb Stunden beherrscht Anneli eine Menge Neues zum Thema äußeres Erscheinungsbild eines Mädchens - klar, die Puppe ist ja ein »Mädi«.
18. November 1983 (2Jahre, 3 Monate)
Ich besuche eine Wohngemeinschaft, in der zwei Buben (vier und zwei Jahre alt) leben. Die Mutter des Älteren jammert darüber, daß ihr Sohn immer nur mit Autos und Flugzeugen spielen will und nicht mit der Puppe,
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