Tyrannenmord
der andere treibt, so’n großer Blonder, weiß ich nicht. Der hatte es wohl nicht nötig, sich weiter vorzustellen.«
»Okay, kenne ich, und was wollten die konkret?«, hakte Hensel weiter nach.
»Sie suchten einen Schuldigen und versuchten mich dafür verantwortlich zu machen, dass ihr Laden bald Pleite geht.« Die Verachtung und Häme in Thomsens Stimme war nicht zu überhören.
»Und wieso das?«, fragte Hensel. »Befürchteten sie Konkurrenz?«
»Na, das nun nicht grade«, antwortete Thomsen gedehnt und hing einige der abgetrockneten gläsernen Bierhumpen an die dafür vorgesehenen Messinghaken. »Die Typen meinten vielmehr, dass durch den Bikertreff und meine sonstigen geschäftlichen Aktivitäten, sich die Anzahl der anreisenden Kumpels vervielfacht hätte, und wegen dem angeblichen Lärm blieben ihnen halt ein paar Gäste weg.« Der Kneipier verschluckte hin und wieder Selbstlaute und mit den Fällen nahm er es ebenfalls nicht so genau.
»Na ja, Thomsen, zusätzlich zum früheren Ausflugsverkehr ist die Langballiger Straße inzwischen durchaus zu einer beliebten Motorradstrecke verkommen, wo Verkehrsregeln anscheinend nur für andere gelten, und mit der Lärmschutzverordnung haben die Kollegen zumeist nicht gerade viel am Hut, oder? Beschwerden hat es, das ganz nebenbei, auch von anderer Seite gegeben.«
»Hm, hm, versteh ich irgendwie nicht«, entgegnete der Wirt widerwillig. »Schließlich leben wir in einem freien Land und die Kumpels sind durchweg alles friedliche Leute und wollen nur ihren Spaß haben. Ist alles ganz legal. Dann müssen die Typen eben woanders hingehen – das ist freie Marktwirtschaft. Ist das denn so schlimm, Hensel? Ich habe schließlich selber öfter neu anfangen müssen und hier, wie du siehst, die Kurve gekriegt, das lasse ich mir nicht mehr nehmen, um nichts in der Welt – darauf kannst du Gift nehmen!«
»Also, Thomsen, dir bleibt jetzt sowieso nur im Moment eine Anzeige gegen unbekannt, denn es gibt bisher keine konkreten Anhaltspunkte«, erwiderte Hensel kühl. »Wenn du das willst, solltest du die nächsten Tage, am besten gleich Montag, in meinem Büro erscheinen, damit wir deine Beobachtungen zu Protokoll nehmen können – und bring deinen Personalausweis mit.«
»Wieso das denn, du solltest mich inzwischen ja wohl kennen?«, grinste Thomsen breit und unverschämt.
»Na klar, kenne ich dich.« In Hensels Stimme schwang genau der winzige Teil an Verachtung mit, der seine Abneigung ausdrückte, aber für sein bulliges Gegenüber nicht wahrnehmbar war, weil es sich außer dessen Frequenz befand. »Es bleibt dir auch unbenommen.«
Angesichts der letzten Schilderungen des Kneipiers war Hensel seltsam nachdenklich geworden. Er entzog sich Thomsen mit einem kurzen »erst mal«, um den Tatort ein weiteres Mal zu überprüfen. Vielleicht ließe sich ja ein aufschlussreicher Hinweis finden, der ihm bisher entgangen war. Er überquerte die betroffene Hauskoppel, aber da ihm dabei weiterhin reichlich stechendes Ammoniak in die Nase stieg, beschränkte er sich darauf, seinen Blick abschnittsweise über das Grundstück schweifen zu lassen. An der kleinen, hinteren Anhöhe angelangt, die zu beiden Seiten mit dichten Knicks gesäumt war und die in die ansteigende Straße nach Westerholz mündete, fiel ihm auf dem Asphalt gleich wieder der größere, dunkle Fleck auf, den er schon bei der ersten Begehung registriert hatte. Klar, hier hatte mit Bestimmtheit ein größerer Gülletank gestanden und gleich daneben, an der abschüssigen Stelle zu Thomsens ursprünglich geplanten Moto-Events, war deutlich zu erkennen, dass hier der Ablassschlauch gelegen haben musste. Das Detail eines Schuhsohlen-Abdrucks entdeckte er im Sandstreifen erst auf dem zweiten Blick, aber nur, weil der Boden bei der Aktion feucht geworden war und sich eine dünne, bereits leicht angetrocknete Schlammschicht gebildet hatte. In der Ferne trieb der Südwestwind inzwischen graue Wolken vor sich her, die baldigen Regen ankündigten, und so beschloss der Polizist spontan, sich mit einer selbstangerührten Gipsmischung einen möglichst aussagekräftigen Abdruck herzustellen. Konnte natürlich ohne Weiteres sein, dass dieser, wie bereits viele aufgenommene Spuren vor ihm, auf dem Asservaten-Müll der Kriminalgeschichte landete. Dennoch: sichergestellt war sichergestellt. Danach würde er die Umweltpolizei anrücken lassen, die gegebenenfalls das Abpumpen der bestehenden Güllelachen einleiten musste.
Hensel,
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