Tyrannenmord
Berger nachdenklich geworden fort, »auf eigene Landsleute anlegen zu müssen. Das konnten sogar mal direkte Nachbarn sein, die sich überhaupt nichts haben zuschulden kommen lassen und die einfach, wie viele andere auch, nur weg wollten.«
»Ich nehme an«, warf Isabell ein, »dass Sie da wohl schon ebenfalls an Flucht dachten?«
»Genau, Frau Kommissarin«, bestätigte Berger und setzte sich in seinen Sessel. »Der Entschluss war schnell gefasst, obwohl es uns bis zuletzt schwerfiel, uns von den Eltern, Verwandten und Freunden – vielleicht für immer – trennen zu müssen. Aber wie dem auch sei, wir waren jung und wollten auf jeden Fall raus aus der DDR und rechneten mit einem guten Start im Westen. Und wir hatten Glück, eines Nachts sind wir mit einem alten Klepper-Faltboot über die Ostsee getürmt und konnten ungeschoren beim Travemünder Strand anlanden.«
»Und was haben Sie gemacht«, meldete sich Isabell zu Wort, bevor Sie die jetzige Stelle bekamen?«
»Ich habe bei verschiedenen Wachdiensten gearbeitet«, antwortete Berger, wobei er die Zeit bei der Legion aus gutem Grund unerwähnt ließ.
»Und das können Sie alles lückenlos belegen?«, fragte Isabell weiter.
»Ja, das kann ich«, log Berger und gab seiner Stimme einen festen Anstrich. »Ich müsste da natürlich erst mal in meinen Unterlagen nachsuchen.«
»Und, was macht Ihr Bruder inzwischen«, erkundigte sich Schmidt, »Haben Sie Kontakt zu ihm?«
»Nein, der hat sich nach einem Streit von mir leider ganz abgewendet und seitdem, ein paar Jahre mag das inzwischen her sein, habe ich nichts mehr von ihm gehört.«
»Ist eigentlich schade«, bemerkte Schmidt, »wo man so vieles gemeinsam erlebt hat?«
»Ja, natürlich ist es das«, pflichtete Berger dem Beamten bei, »schließlich ist er ja mein Bruder, aber es lässt sich halt auch nicht erzwingen.«
»Okay, Herr Berger, wir werden das alles überprüfen«, sagte Schmidt, die Befragung vorerst abschließend. »Sie werden, wenn erforderlich, von uns hören, und«, Schmidt nestelte in seinen Taschen nach einer Visitenkarte, »falls Ihnen noch etwas einfallen sollte, melden Sie sich bitte bei uns.«
Berger ließ es sich nicht nehmen, Schmidt und Isabell bis zum Tor des Anwesens zu begleiten, während der kleine Moritz, nachdem er spontan auf die drei zugelaufen gekommen war, neugierig um sie herum hüpfte und sie dabei mit allen möglichen Fragen löcherte.
Nachdem die Beamten im Dienstwagen Platz genommen hatten, schwiegen sie vorerst. Beide sortierten ihre Gedanken. Das machten sie immer nach einer Befragung, weil es sich zwischen ihnen bewährt hatte.
Isabell drehte den Zündschlüssel, denn sie wechselten sich mit dem Fahren ab. Erst auf der Nordstraße, bereits in Höhe der Ortschaft Wees, brach Schmidt schließlich sein Schweigen.
»Hast du irgendetwas von Belang auf dem Foto entdecken können?«, eröffnete er den Dialog, da ihm das Interesse seiner Assistentin an der Fotogalerie vorhin natürlich nicht entgangen war. Isabell hatte geahnt, dass ihr Vorgesetzter danach fragen würde.
»Könnte durchaus sein«, antwortete sie etwas gedehnt und sah kurz auf die hügelige und derzeit in sattem Grün sich darbietende Landschaft. »Übrigens wartet im BKI eine kleine Überraschung auf dich.«
Als sie ihr Büro betraten, entfernte Isabell wortlos die Speicherkarte aus ihrer Digicam und steckte sie zur Datenübertragung in den Computer. Isabell spielte gern mal die Geheimniskrämerin, um dann den Kollegen mit einem überraschenden Einfall oder Ergebnis positiv zu überraschen. Schmidt machte das zumeist amüsiert mit, denn es diente ja am Ende immer der Sache. Auf dem Schwarz-Weiß-Foto, das nun auf dem Monitor erschien, posierten fünf Männer, die irgendetwas Gemeinsames zu verbinden schien. Unschwer war auch Raoul Berger, als der Zweite von rechts zu erkennen.
»Hey, wie hast du denn das gedeichselt«, rief Schmidt überrascht aus. »Hast du etwa das Foto gemacht, als ich mich mit Berger bereits im Flur befand?«
»Ja, habe ich«, grinste Isabell, »und ich brauchte noch nicht einmal den verräterischen Blitz der Kamera zu bemühen, denn es war ja hell genug in dem Zimmer. Mit dem ersten Klick war ich im Makroprogramm, alles andere machte die Kleine dann automatisch.«
»Also, so ganz koscher ist das ja nicht«, dämpfte Schmidt das Vorpreschen seiner Assistentin, »illegale Aneignung von Beweismitteln nennt man das wohl.«
»Wir benutzen es ja gar nicht als Beweismittel,
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