Tyrannenmord
Mitternacht und ein Uhr morgens?«
»Muss ich das jetzt hier beantworten und wieso verdächtigen Sie mich überhaupt?«, gab sich Raoul erstaunt, der mit kaum wahrnehmbarem leichten französischen Akzent sprach. »Ich bin hier schließlich nur Bediensteter und es steht mir nichts ferner, als mich in irgendwelche Vorkommnisse einzumischen, die mich partout nichts angehen.«
»Ich kann Sie auch in die Bezirkskriminalinspektion vorladen lassen, wenn Sie hier nicht antworten wollen«, meinte Schmidt ruhig, woraufhin Berger mit dem Satz »schon gut, fragen Sie also« einlenkte.
»Also, Herr Berger«, entgegnete Schmidt daraufhin und räusperte sich, »wir sind inzwischen über die Verhältnisse hier durchaus informiert und demnach sind Sie ja außerordentlich gut gelitten, sozusagen schon fast zur Familie gehörend, wenn ich Herrn Thams richtig interpretiere. Und ich denke, Sie hätten durchaus einiges zu verlieren.«
Isabell musterte unterdessen die Fotogalerie über der Kommode. Neben den farbigen Landschaftsaufnahmen zog ihre Aufmerksamkeit besonders ein größeres Foto auf sich. Es war eine Schwarz-Weiß-Fotografie, auf dem eine offensichtlich entspannte Männerriege mit freundlichen Mienen posierte.
»Das mag ja alles so sein«, entgegnete Raoul Berger auf Schmidts Einwand hin, aber was hier letztlich geschieht, müssen immer der Chef und die Chefin entscheiden.«
»Gut, gut«, antwortete Schmidt geduldig, »aber bitte beantworten Sie folgende Frage: Wo waren Sie zur fraglichen Zeit?«
»Na ja, Herr Kommissar, ich war natürlich hier – wie immer in meinen freien Stunden«, erwiderte Berger, »ich habe mir einen Spielfilm angeguckt und das ging über ein Uhr hinaus, die guten Sachen zeigen sie im Fernsehen ja leider immer ziemlich spät und wenn man nicht gerade ein Fan vom Musikantenstadl ist …«
Da hatte der Mann schon recht, wenn auch das, was er mit ›guten Sachen‹ bezeichnete, absolut dünn gesät war, dachte Schmidt so ganz nebenbei. Aber dafür wurde man ja immerhin, gegen monopolistische Zwangsabgabe versteht sich, von den werten Herren Programmdirektoren zu den zweitbesten Sendezeiten mit der 192. Wiederholung der ›Brücke von Remagen‹ verwöhnt oder durfte sich zum 82. Mal zusammen mit Mr. Bond, der einem inzwischen schon so etwas wie ein richtig guter Freund geworden war, auf die Jagd nach einem mysteriösen ›Dr. No‹ begeben …
»Kann es irgendjemand bezeugen«, hakte Schmidt nach seinem Gedankensprung nach, »dass Sie zur Tatzeit durchweg in Ihrer Wohnung waren?«
»Nein«, entgegnete Raoul Berger, »da ich hier ganz für mich bin und es bereits ziemlich spät war … doch, halt, warten Sie, Herr Kommissar, vielleicht haben meine Chefs mich durch die Fenster gesehen. Da ich hier keine Gardinen hängen habe, konnten sie mich vielleicht sehen, denn ich habe bemerkt, dass bei ihnen bis spät in die Nacht auch das Licht brannte.«
»Gut, gut, Herr Berger, jetzt eine Frage am Rande«, gab sich Schmidt vorerst zufrieden. »Was haben Sie denn eigentlich in Ihrem Leben sonst so gemacht? Aus Ihren Papieren geht ja hervor, dass Sie 1952 in Wismar, also der ehemaligen DDR geboren worden sind. Und wie ging es weiter – erzählen Sie doch mal.«
»Da gibt eigentlich nicht viel zu berichten, Herr Kommissar«, gab sich Berger sperrig. »Aber, na ja, wenn’s denn der Wahrheitsfindung dient?«
»Oh, das berühmte Zitat des Kommunarden Fritz Teufel … also ich hoffe, dass das, was sie uns hier sagen, schon dieser dient«, betonte Schmidt trocken. »Und wenn Sie mich mit meinem Dienstgrad ansprechen wollen, Herr Berger, dann bitte aber mit Hauptkommissar, denn das kommt der eben zitierten Wahrheit nebst deren Findung auf beispiellos direkte Weise und ohne weitere Zicken entgegen.« Schmidt konnte sich den Seitenhieb natürlich nicht verkneifen, wobei er Mühe hatte, sein inneres Grinsen zu verbergen.
»Also gut, Herr Hauptkommissar«, räumte Berger nun bereitwilliger ein. »Nach einer Elektrikerlehre bin ich mit meinem Bruder zur Volkspolizei gegangen. Doch uns kamen dort bald erhebliche Zweifel an dem ganzen System, besonders aber, als man dort von uns verlangte, auf Flüchtende das Gewehr anzulegen. Das hatten wir vorher naiverweise gar nicht so realisiert. Einige Kollegen behalfen sich denn damit, absichtlich vorbeizuschießen.« Berger war aufgestanden und schaute in den Hof, wo der kleine Moritz gerade eifrig hin und her lief. »Es war völlig absurd und menschenverachtend«, fuhr
Weitere Kostenlose Bücher