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Über Alle Grenzen

Über Alle Grenzen

Titel: Über Alle Grenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lama Ole Nydahl
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in Lhasa hatten sie mehrmals Burkhard, der über zwei Meter groß und sehr stark war, zum Armdrücken eingeladen. Sie hatten den höflichen Riesen besiegt, bevor er überhaupt merkte, dass sie anfangen wollten. So etwas darf niemals geschehen, denn alle Mitglieder einer Gruppe oder Rasse werden nach dem ersten Kontakt beurteilt. Also lag es an mir, die Ehre des weißen Mannes zu retten, was in diesem Fall nicht so leicht war. Den Sieger einfach auf eine Runde Armdrücken einzuladen war nicht möglich, da ich ja Lama bin. Nach einigen Tagen fand sich aber eine Gelegenheit: Als sie einmal trainierten, sagte ich: “Das haben wir doch zu Hause als Kinder gespielt! Kann ich mal mitmachen?” Schnell drückte ich den Arm des Stärksten dreimal herunter und sagte dann: “Ja, das ist wirklich genau dasselbe. Wie spaßig!” Von diesem Moment an brauchten wir nicht mehr zu drängeln, um auf der Ladefläche Platz zu bekommen. Wir waren jetzt auf einer Ebene anerkannt, die jeder verstand.

    Schwarzer Mantel-Felsen bei Tsurphu

    Der erste längere Halt war Bowo oder auch Bomi, ein größeres Dorf an der Grenze zwischen dem nordöstlichen Himalaya und dem Hochland Zentraltibets. Hier treffen die uralten Hügel der Juraperiode auf die jüngsten und höchsten Faltberge der Welt. Der Unterschied der sechzig Millionen Jahre ist überdeutlich, man reist wochenlang entlang einer klar sichtbaren Linie durch die Landschaft.
    Unser Fahrer täuschte eine Motorpanne vor, um einige Tage bei seiner Familie bleiben zu können, und lud uns auf seinen Hof im Dorf ein. Es war großartig, wieder in einer offenen Dachscheune zu schlafen. Wir überblickten von dort aus einen Großteil des Tales, während der Schnee leise fiel. Man hatte uns einen Platz im Haus angeboten, aber bei den Sherpas und Tibetern ist alles dunkel und voller säurehaltigem Rauch. Nur ein Haus hatte Ofen und Schornstein. Hannah und ich hatten seit langem wieder Zeit zu meditieren und konnten uns sogar noch die Gegend ansehen. Es war wie Urlaub. Erst abends kamen die Leute, um gesegnet zu werden.

    Abends kamen die Leute für Segen

    Das Gebiet war fast vollständig zerstört. Die Chinesen hatten große Mengen uralter Nadelbäume gefällt, aber keine neuen gepflanzt. Die umher liegenden Stämme waren oft so dick, dass man nicht über sie hinwegschauen konnte. Da die Holzfäller keine Maschinen hatten, um die untersten und dicksten Stücke wegzuschaffen, blieben sie einfach liegen und verfaulten.
    Bis zu diesem Zeitpunkt war das ständige Rütteln des Lastwagens das Schwierigste an der Fahrt gewesen. Jetzt wurde es auch noch kalt, und wir gaben Hannah und Ilse die wärmsten Sachen. Östlich von Bhutan, wo der Himalaya eine Schleife über Norden nach Süden dreht, gab es keine Möglichkeit mehr, auf friedlichen 4.000 Metern Höhe zu bleiben. Die hohen Pässe waren unvermeidbar. Die gute Laune von Pedro und Kurt riss niemals ab. Auf dem letzten Pass vor Chamdo sprang Kurt mehrmals von der Ladefläche. Wenn der Fahrer vor Müdigkeit zusammensackte, bot er ihm an, das Steuer zu übernehmen. So spornte er ihn immer wieder an, doch noch ein paar Kilometer zu fahren. Wir mussten einfach vermeiden, im Schneesturm am Pass hängen zu bleiben. Auf diese Weise starben regelmäßig ein paar Reisende.
    Die Lastwagen sind übrigens die unbesungenen Helden der armen Länder. So wie Indien an einem Tag zusammenbrechen würde, wenn die “Tata”-Lastwagen - mit Mercedes-Lizenz gebaut - verschwinden würden, so hält eine historische Konstruktion China in Gang: ein vierzylindriger, seitenventilierter Benzinmotor, mit den Zündkerzen in Reihe auf dem flachen Zylinderkopf stehend. Der Motor war erstmals 1934 vom deutschen Opel-Werk gebaut worden, im Krieg hatten ihn die Russen gestohlen, und jetzt hatten ihn die Chinesen übernommen. Diese Lastwagen, ständig überfüllt, bringen die Leute überall hin - tagsüber diejenigen mit Erlaubnis, nachts diejenigen ohne. In Tibet wurden die Lastwagen von den Chinesen hauptsächlich eingesetzt, um das gestohlene Holz aus Tibet herauszubringen. Wir sahen nur einen einzigen Bus auf der Strecke, und der nahm niemanden mit. Die Menschen sollten sich ja nicht gegenseitig besuchen und ihre Unzufriedenheiten vergleichen. Damals waren Autos nur den Parteispitzen erlaubt, und die schienen die Berge nicht zu mögen.

    Ein platter Reifen mehr

    Nachdem die Chinesen im Winter 1951 das östliche und spannendste Drittel des Landes besetzt hatten, machten sie Chamdo zur

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