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Über Bord

Titel: Über Bord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Bestattung. In den Foyers gab es prächtige Bouquets in chinesischen Vasen, aus denen sie einige besonders schöne Exemplare für das Seemannsgrab herausfischte.
    Als das Schiff ablegte, gesellte sich auch Gerd zu Ellen und Amalia. Er habe in der Bücherei alles, was er über Valencia finden konnte, eingehend studiert. Schließlich wolle er auch morgen nicht uninformiert zur Stadtbesichtigung aufbrechen. Leise, damit es niemand sonst hören konnte, flüsterte er Ellen zu, dass er Ortrud in die Sauna geschickt habe. Sie habe versprochen, am Abendessen wieder in manierlichem Zustand teilzunehmen. Anschließend wurde er seinerseits von der grinsenden Ellen eingeweiht, dass demnächst eine hündische Seebestattung stattfände. Amalia hatte die Blumen vorläufig in ein Handtuch gewickelt, denn man war sich einig, dass der Kreis der Hinterbliebenen klein bleiben sollte. Sie wussten alle nicht genau, ob es sich um eine kriminelle Tat handelte. Nach grob geschätzten zwanzig Kilometern begaben sie sich an die Leeseite, Valerie ließ die Urne ins Meer plumpsen, Amalia warf fünf rosa Nelken hinterher. Ansgar wünschte: »Ruhe sanft, Bonzo«, und meinte, er kenne zwar das Hundegebet von Reinhard Mey, könne es aber leider nicht singen.
    Später, als er mit Ellen allein war, meinte Gerd: »Das sind doch offensichtlich Betrüger! Therapieren jahrelang den Köter eines reichen Hundebesitzers, nehmen den einsamen alten Mann aus wie eine Weihnachtsgans und lassen sich zu guter Letzt noch eine Kreuzfahrt bezahlen!«
    »Nein«, sagte Ellen. »Das sehe ich anders. Das Herrchen hätte natürlich selbst eine Therapie gebraucht, der Hund war nur Stellvertreter und hat seine Sache gut gemacht. Er soll aus einer Kreuzung eines Labradorvaters mit einer gelben Ibizamutter stammen und das Meer geliebt haben…«
    Zum Essen erschien Madame Doornkaat (wie sie heimlich von Amalia genannt wurde) in einer Wolke aus Organza und tat so, als sei nichts gewesen. Aus reiner Verlegenheit erzählte Ellen auch ihr die Geschichte vom gemütskranken Hund und dessen Seebestattung, und selbst Ortrud war fasziniert. »So wünsche ich mir einmal meine letzte Ruhestätte«, behauptete sie ganz ernsthaft. »Genau so!«
    Gerd sah Ellen kurz in die Augen, sie verstanden sich auch ohne Worte.
    Der Rest des Abends verlief relativ unspektakulär. Amalia ging mit zwei Sängern tanzen, die anderen hörten sich ein klassisches Klavierkonzert an. Danach zog sich jeder in seine Kabine zurück.
    Am nächsten Morgen sah Ellen zum ersten Mal, wie der Lotse vom Schiff aus auf ein Schnellboot sprang, das sofort abdrehte. Heute stand Valencia auf dem Programm, das heißt, sie wusste von den Plänen der anderen bisher noch nichts. Beim Frühstück erfuhr sie immerhin, dass Amalia sich selbständig machen wollte, um in der Kaufhauskette Corte Inglés nach Herzenslust zu stöbern.
    »Schau doch mal, ob du noch handrollierte Taschentücher siehst«, sagte Ellen. »In Deutschland gibt es kaum mehr welche, und irgendetwas Nettes sollten wir Oma mitbringen, sie hasst Papiertücher. Außerdem findest du vielleicht etwas für Uwe.«
    »Aye, aye, Sir«, sagte Amalia und legte die Handkante an die Stirn. Sie sah nach diesen wenigen Tagen hübscher aus als je zuvor, braungebrannt und bereits bestens erholt. Man nahm gar nicht wahr, dass ihr Jeansjäckchen reichlich abgewetzt und die Schuhe ungeputzt waren, der Charme der Jugend machte alles wett.
    Gerd und Ortrud hatten sich für eine Stadtrundfahrt angemeldet, im Bus war kein weiterer Platz frei, und Ellen musste sehen, wo sie blieb. Gerd bemerkte ihre Enttäuschung. Er bot an, seinerseits auf die Besichtigung zu verzichten und ihr seinen Sitz zu überlassen. Doch sie lehnte dankend ab.

16

    Obwohl Ellen in ihrem Leben schon viele Möwen gesehen hatte, war sie immer wieder erstaunt, wie klein diese Vögel von weitem und wie groß sie aus der Nähe aussahen. Manchmal schwammen sie wie harmlose Entchen im Wasser, dann wieder stürzten sie sich adlergleich aus beachtlicher Höhe herab, um nach Nahrung zu tauchen, oder schwebten schwerelos wie Engel im Aufwind. Da sich die MS RENA nie weit von der Küste entfernte, konnte Ellen täglich die grauweißen Segler beobachten und ihre durchdringenden Schreie hören. Ob Vögel Vermittler zwischen Himmel und Erde waren?
    Bruchstückartig kam ihr der absurde Traum der letzten Nacht in den Sinn: Sie hatte sich eine Möwe geschnappt und ihr – wie die Blütenblätter einer Margarite – die Federn

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