Über Bord
sollte man jetzt endlich bezahlen, aufbrechen und einen riesigen Serranoschinken kaufen. Ob Ansgar auch wirklich den Kühlschrank in der Kabine ausgemessen habe?
Ellen überlegte, wie sie dem Horrorpaar geschickt entkommen konnte. Sollte sie auf die Toilette gehen und sich durch den Hinterausgang davonschleichen?
Nicht viel später saßen sie an der langgestreckten Plaza del Ayuntamiento im nächsten Café und tranken Horchata, eine Art Mandelmilch. Ellen entdeckte auch hier einen Blumenmarkt, aber keiner war an ihrer Seite, der nach einer roten Rose griff. Eigentlich wollte sie wenigstens den von Gerd empfohlenen Mercado Central besuchen, denn die berühmte Markthalle sollte reich mit Azulejos geschmückt sein. Dort würde Valerie auch mit Sicherheit den besten Serrano finden. Aber offenkundig saßen die Hundetherapeuten am liebsten unter einem Sonnenschirm und ließen das pralle Leben an sich vorbeiziehen.
»Alles, was im Baedeker steht, vergisst man rasch«, sagte Ansgar. »Vor allem die Zahlen: Wie viele Meter misst das Längsschiff einer Kirche, wie hoch ist der Glockenturm, wie lange hat man daran gebaut. Viel interessanter ist es, die Spanier im Umgang mit ihren Hunden zu beobachten.«
Ellen sah keinen einzigen Vierbeiner auf der Plaza. »Hat euch Ortrud eigentlich etwas Privates erzählt?«, fragte sie unvermittelt, denn das war das Einzige, was sie wirklich interessierte.
Valerie überlegte. »Natürlich, sie war recht unglücklich, dass ihr geliebter Sohn nicht mit auf die Reise kommen konnte. Es lag ihr wohl sehr viel an seiner Gesellschaft.«
Und an mir und Amalia liegt ihr gar nichts, dachte Ellen, aber das ist gegenseitig. Im Übrigen haben die Dornfelds auch eine Tochter, warum haben sie die nicht eingeladen?
Nach einer längeren Pause fragte Ellen ihre Begleiter, ob sie auch Menschen mit krankhafter Angst vor Tieren behandeln könnten.
»Aha«, sagte Ansgar. »Kannst du den Namen der Monster in den Mund nehmen? Lass mich raten: Spinnen? Schlangen?«
»Die auch«, sagte Ellen. »Aber am schlimmsten sind die kleinen grauen Nager… Der wissenschaftliche Name ist Musophobie.«
Nun war Valerie in ihrem Element: »Am besten hilft eine Verhaltenstherapie. Man konfrontiert den Patienten mit dem Objekt seiner Angst. Wir sollten auf der Stelle eine Tierhandlung aufsuchen! Wahrscheinlich verkaufen sie auch in Spanien die beliebten mongolischen Rennmäuse, die du anfassen und streicheln solltest. Vielleicht bist du schon nach einem Mal geheilt und musst nie mehr hysterisch schreien und die Flucht ergreifen!«
»Nein, danke!«, sagte Ellen. »Meinen Tag in Valencia möchte ich lieber nicht in Gesellschaft von Mäusen verbringen.« Und in eurer auch nicht, dachte sie, stand auf und verabschiedete sich. Beim Weiterschlendern kaufte sie Postkarten für Clärchen, Hildegard und ihre Geschwister. Als sie an ihren Clan dachte, fiel ihr auch wieder ihr unbekannter Erzeuger ein. Ob sie ihm wohl ihre Furcht vor Mäusen verdankte?
17
Laut Reiseplan sollte die MS RENA am fünften Tag in Palma de Mallorca anlegen, allerdings erst gegen Mittag. Ellen versuchte bereits am frühen Morgen ihre Mutter zu erreichen, die ausnahmsweise das Klingeln sofort hörte. Es gehe ihr gut, sagte Hildegard. In Deutschland werde es merklich kühler, wie denn das Wetter in Spanien sei?
»Ganz wunderbar, warm und sonnig. Was höre ich da für einen seltsam schabenden Ton?«, fragte Ellen. »Bist du nicht allein, Mutter?«
»Ich glaube, sie will in die Küche«, sagte Hildegard. »Ich muss ihr mal eben die Tür aufmachen.«
»Wer ist sie ?«
»Penthesilea!«
»Die Königin der Amazonen? Was für ein affiger Name! Wer um alles in der Welt soll das sein?«
»Penny ist ein kleines Mädchen, das vorübergehend bei mir abgegeben wurde«, sagte Hildegard etwas nebulös. Ellen und die Tierwelt, das war ein heikles Thema.
»Es freut mich, dass du mal Gesellschaft hast«, sagte Ellen, ohne weiter nachzuhaken. Ihr gestriges Gespräch mit Matthias hatte sie beruhigt: Die Mutter komme ganz gut zurecht, sie brauche keine Sorgen oder gar ein schlechtes Gewissen zu haben.
Am heutigen Vormittag auf See wollten sich eine junge und eine nicht mehr jugendliche Dame ganz der Wellness widmen, das heißt Ortrud hatte Amalia zu einer ausgiebigen Schönheitsbehandlung eingeladen. Römisches Dampfbad, Ayurveda-Anwendungen und zahlreiche kosmetischen Sitzungen standen auf dem Programm. Ellen war nicht aufgefordert worden, wahrscheinlich, weil Amalia
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