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Über Boxen

Über Boxen

Titel: Über Boxen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates
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Fleischer, Boxexperte und Gründer des Sportmagazins «The Ring» , schätzte die Zahl der ernsthaften Verletzungen im Ring auf einige Zehntausend seit1890 , dem Beginn des «modernen» Boxsports, definiert nach den Regeln des Marquess von Queensberry, die gepolsterte Handschuhe, Drei-Minuten-Runden, eine Pause von einer Minute zwischen den Runden und durchgehendes Kämpfen während der Runden vorschreiben. (Die Ära des Kämpfens mit bloßen Fäusten war, obwohl sie als brutal galt, für die Kämpfer sehr viel weniger gefährlich – Fäuste brechen leichter als Köpfe.) Zwischen 1945 und 1985 sind wenigstens dreihundertsiebzig Boxer in den Vereinigten Staaten an Verletzungen gestorben, die man auf das Boxen zurückführen kann. Außer dem unglückseligen Kampf zwischen Griffith und Paret gab es noch eine Reihe anderer, die die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit erregt haben: Sugar Ray Robinson tötete zum Beispiel einen jungen Boxer namens Jimmy Doyle, als er 1947 seinen Weltergewichtstitel verteidigte; Sugar Ramos gewann 1963 den Titel im Federgewicht durch einen K.-o.-Sieg über den Champion Davey Moore, der nie mehr zu Bewusstsein kam. Ray Mancini tötete 1982 den Südkoreaner Duk Koo Kim; der frühere Champion im Federgewicht, Barry McGuigan, tötete 1982 den Nigerianer «Young Ali». Nach dem Tod Duk Koo Kims reduzierte der World Boxing Council Titelkämpfe auf zwölf Runden. (Die World Boxing Association behält fünfzehn Runden bei. 38 In der Ära der Marathonkämpfe zwischen 1892 und 1915 kämpften Boxer im Übrigen an die hundert Runden; der Rekord beträgt hundertzehn Runden, ein Kampf im Jahr1893 , der betäubende sieben Stunden dauerte. Der letzte auf offizielle fünfundvierzig Runden angesetzte Meisterschaftskampf war der zwischen dem schwarzen Titelverteidiger Jack Johnson und seinem weißen Nachfolger Willard, 1915. Der Kampf zog sich unter der gleißenden Sonne Havannas über sechsundzwanzig Runden hin, bevor Johnson zusammenbrach.)
    Wenn man darauf verweist, dass die Todesrate und die Rate der Verletzungen im Ring, verglichen mit denen anderer Sportarten, nicht außergewöhnlich hoch sind, missversteht man die Art von Kritik, die nur gegen das Boxen vorgebracht wird und nicht gegen andere Sportarten. Eindeutig ist allein die Vorstellung vom Boxen für viele Menschen abstoßend, weil es nicht zu unserem Bild vom zivilisierten Menschen passt. In einer Gesellschaft, die von der Technik geprägt ist und über unzählige hoch entwickelte Methoden der Massenvernichtung verfügt (man bedenke nur, wie oft sich die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion schon gegenseitig in die Luft gejagt haben – zumindest in der Fantasie), ist die Vorführung von direkter, ungezähmter und scheinbar natürlicher Aggression zu explizit, als dass sie toleriert werden könnte.
    Womit wir wieder zum Paradox des Boxens zurückkehren: Eine unwiderstehliche Anziehungskraft geht von ihm aus; viele sehen darin nicht nur eine Darbietung außergewöhnlicher körperlicher Leistung, sondern eine emotionale Erfahrung, die nicht in Worte zu fassen ist; eine Kunstform, wie gesagt, die es innerhalb der Künste nicht gibt. Selbstverständlich ist Boxen primitiv, doch auch von Geburt, Tod und Sexualität könnte man sagen, dass sie primitiv sind. Was uns dazu zwingt, wenn auch widerwillig, anzuerkennen, dass unsere tiefsten Erfahrungen im Leben körperlicher Natur sind – und dies, obwohl wir glauben, dass wir im Grunde geistige Wesen sind, was sicherlich stimmt.
    Ich mochte Gewalt nie.
    Sugar Ray Robinson, ehemaliger Weltmeister im
    Weltergewicht und Mittelgewicht
    Auf das ungeübte Auge wirken die meisten Boxkämpfe nicht nur barbarisch, sondern schlicht wahnsinnig. Der erfahrene Zuschauer aber beginnt die komplexen Muster zu sehen, die diesem «Wahnsinn» zugrunde liegen. Was wie ein absolut konfuses Durcheinander aussieht, kann begriffen werden und entpuppt sich dann als zusammenhängend und intelligent, oft genial. Sogar ein Zuschauer, der Gewalt im Prinzip ablehnt, kann so weit kommen, einen technisch hervorragenden Boxkampf zu bewundern, und zwar jenseits aller «vernünftigen» Grenzen. Bei einem brillanten Boxkampf folgen die quecksilberschnellen Bewegungen viel zu rasant aufeinander, als dass die Wahrnehmung ihnen folgen könnte; so ein Kampf hat die Kraft, die Emily Dickinson großer Dichtung nachsagte: Man weiß, dass etwas groß ist, wenn es in unserem Kopf explodiert. 39 (Ein Bild, das in seiner

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