Über Boxen
Carter ein und, noch früher, Jack Johnson selbst – der erste und höchstwahrscheinlich größte prononciert als Schwarzer auftretende Boxer, den auch Cassius Clay alias Muhammad Ali bewunderte. So stark haften einige Namen noch immer im Gedächtnis – Dempsey, Louis, Marciano, Pep, Robinson –, dass man meinen könnte, sie seien Zeitgenossen und gehörten nicht einer vergangenen Ära an.
Boxen verschleißt die, die es ausüben, in einem gleichsam darwinistischen Kampf ums Überleben, für den es nirgends eine Parallele gibt; aber es überschüttet auch einige wenige mit so außergewöhnlichen Ehren, hüllt sie in den Glanz einer Unsterblichkeit, dass sich die Gefahr womöglich lohnt. Wie in jeder Religion sind Gegenwart und Vergangenheit eins; die Zeit, ja sogar der Tod sind besiegt. Die unsterblichen Toten sind immer unter uns, wir erinnern uns nicht nur an Namen oder an die nebelhaften Umrisse einer Karriere, sondern an bestimmte Kämpfe, an die Augenblicke, in denen entscheidende Schläge ausgeführt oder eingesteckt wurden, an den Umfang einer ganz bestimmten Boxerfaust, an eine ganz bestimmte Reichweite, an das Alter, in dem ein Boxer begann, und daran, wann er sich vom Boxen zurückzog, an die Liste seiner Siege, seiner Niederlagen, seiner unentschiedenen Kämpfe. Den Aufwärtshaken, den Jack Johnson 1909 gegen Stanley Ketchel ausführte, die berühmte «Wende», die Fitzsimmons 1897 herbeiführte (als er «Gentleman Jim» Corbett den Titel im Schwergewicht abnahm), den bösartigen rechten Haken, mit dem Jack Dempsey 1927 den unaufmerksamen Jack Sharkey außer Gefecht setzte, Rocky Marcianos Knock-out-Rechte, Cassius Clays geheimnisumwitterter Schlag in der ersten Minute der ersten Runde seines zweiten Kampfes gegen Sonny Liston, der linke Haken Joe Fraziers, der Muhammad Ali in der fünfzehnten Runde ihres ersten Kampfes zu Boden gehen ließ: Nichts von alldem ist vergessen. Die Fantasie eines typischen Boxberichterstatters wird durch sein Thema eher in Flammen gesetzt als nur stimuliert. Es ist ganz üblich, sich Traumkämpfe auszudenken, in denen Boxer verschiedener Zeiten aufeinandertreffen – Marciano gegen Dempsey, Louis gegen Ali, Hagler gegen Robinson, der Sonny Liston von 1961 gegen den George Foreman von 1973. Man stellt Boxer verschiedener Gewichtsklassen gegeneinander auf – wie hätten sich Willie Pep, Benny Leonard oder Roberto Durán gegen Joe Louis gehalten, wenn sie das nötige Gewicht gehabt hätten ? Obwohl es bei allen Sportarten diese Beschäftigung mit der Vergangenheit gibt, ist sie beim Boxen von einer eigenartigen Intensität, vielleicht weil in diesem Sport die Einsamkeit des Einzelnen so groß ist oder so groß zu sein scheint. Man hat den Eindruck, dass der Boxer, wie der Heilige, seine Erlösung durch unermüdliche Anstrengungen in völliger Abgeschiedenheit erlangt.
Die Vergangenheit lebt beim Boxsport von einer unheimlich realen und vitalen Beziehung zur Gegenwart. Die Toten sind nicht tot, oder nicht nur tot. Als zum Beispiel Larry Holmes den Versuch machte, und er war damit schlecht beraten, an Rocky Marcianos Rekord (vierundneunzig Siege, keine Niederlage) heranzukommen, schien Marciano plötzlich von den Toten aufzuerstehen, sein Name und sein Bild erschienen in allen Zeitungen, überall wurden Interviews mit seiner Familie veröffentlicht. Michael Spinks erweckte nicht nur Billy Conn, den Champion im Halbschwergewicht, wieder zum Leben, der in einem berühmten Kampf 1941 von Joe Louis geschlagen worden war (1946 dann ein zweites Mal), sondern eine ganze Reihe anderer Halbschwergewichtler, die von Schwergewichtlern besiegt worden waren – Georges Carpentier, Tommy Loughran, Joey Maxim, den unermüdlichen Archie Moore. Die spektakuläre erste Runde des Kampfes zwischen Hagler und Hearns weckte Erinnerungen an «die größten ersten Runden aller Zeiten». (Die berühmteste bleibt die zwischen Dempsey und Firpo 1923.) Die Ruhmeshalle des Magazins «The Ring» – in die der umstrittene Jake LaMotta erst vor Kurzem aufgenommen wurde – gleicht dem Pantheon der Heiligen, das der Vatikan geschaffen hat, nur kennt sie feinere Grade, ihre Heiligen sind in die verschiedensten Gruppen und Untergruppierungen eingeteilt, und das Abstimmungsverfahren ist höchst komplex. 41 (Es gibt in den Vereinigten Staaten keine einzige intellektuelle Zeitschrift, die ihrer eigenen Geschichte eine so skrupulöse Aufmerksamkeit widmet wie dieses von Nat Fleischer 1922 gegründete
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