Über Boxen
Körperlichkeit besonders gut in diesen Zusammenhang passt.)
Dieser erste Eindruck – dass Boxen «Wahnsinn» ist oder sich Boxer so verhalten, als seien sie wahnsinnig – scheint mir ein richtiger Eindruck zu sein, auch wenn er sich mit der Zeit relativiert. Er bleibt, verschwindet nie vollständig aus dem Gedächtnis, wird nie ganz überwunden. Er sinkt einfach in unser Unbewusstes ab, so wie jene erschreckenden und zerstörerischen Erlebnisse, die wir aus dem Bewusstsein verdrängen, indem wir uns an sie gewöhnen oder sie bewusst unterdrücken. So kennen wir gewisse unleugbare Tatsachen der conditio humana zwar sehr gut, aber bewusst lassen wir sie nicht werden. Wir verbergen unser Wissen vor uns selbst, aber wir wissen darum. Jeder Boxfanatiker, sosehr er sich auch an diesen Sport gewöhnt hat, wie viele Jahrzehnte er auch seiner Obsession gefrönt hat, weiß ganz genau, dass Boxen reiner Wahnsinn ist, auch wenn es Augenblicke großer Schönheit gibt. Dieses Wissen verbindet uns, und manchmal – ich wage es kaum zu sagen! – verbindet uns die Scham darüber.
Wenn man sich ernsthaft auf diesen Sport einlässt, riskiert man, dass einen in manchen Momenten eine Art animalische Panik packt – das Gefühl, dass nicht nur etwas ganz Abscheuliches passiert, sondern dass man, indem man zusieht, zum Komplizen wird. Diese Erkenntnis, diese Offenbarung, diese Schwäche oder dieser haarfeine Spalt in der Oberfläche des eigenen Selbst kann einen jederzeit treffen, unvorhergesehen und ohne dass man es will; obwohl sie den Zuschauer mit großer Wahrscheinlichkeit dann packt, wenn er einen gewalttätigen Kampf sieht. Ich fühle dann einen Schwindel – eine Atemlosigkeit – einen Widerwillen, der sich nicht in Worte fassen lässt: einen rein körperlichen Ekel. Dass dies auch oder vor allem Selbstekel ist, braucht nicht betont zu werden.
Denn Boxen ist wahrlich keine Metapher, es steht nur für sich. Und meine Vorliebe, mir Videos von Kämpfen anzusehen, deren Ausgang ich bereits kenne, ändert nichts an der Tatsache, dass die Kämpfe, als sie stattfanden, in der Gegenwart stattfanden und einmalig sind. Alles andere sind Ausflüchte – die unbehagliche «Kontrolle» des Intellektuellen, der er sein Material unterwirft.
Es ist unmöglich, sich Dempseys alte, frühe Kämpfe anzuschauen und diesen Angstschauder nicht zu spüren, und das, obwohl die Qualität der Filme schlecht ist und die Bewegungen der menschlichen Figuren ziemlich grotesk aussehen. Und vermutlich gilt das ebenso für die Trilogie der Zale-Graziano-Kämpfe, von denen man noch heute, vierzig Jahre später, voller Ehrfurcht spricht. Für einen meiner Bekannten war es ein Kampf Joe Louis’ gegen einen längst vergessenen Gegner. Für einen anderen war es einer der «großen» schmutzigen Kämpfe, die Willie Pep und Sandy Saddler einander lieferten – «die kleine weiße Vollendung und der Tod, der rot karierte Hosen trug», wie der Dichter Philip Levine das berüchtigte Duo beschrieben hat. 40 Da war Duk Koo Kim, da war Johnny Owen, fast zwei Jahrzehnte früher der glücklose Benny Paret, in den Seilen gefangen, während Ringrichter Ruby Goldstein wie versteinert dastand, unfähig einzugreifen …
Und Paret? Paret starb, während er noch auf seinen Füßen stand. Als er diese achtzehn Schläge einsteckte, geschah etwas mit jedem Zuschauer, der nah genug dran war. Ein Teil seines Todes erreichte uns. Man fühlte ihn in der Luft. Er hing noch in den Seilen, gefangen wie zuvor, er hatte ein halbes, bedauerndes Lächeln im Gesicht, als ob er sagen wollte: «Ich wusste nicht, dass ich schon jetzt sterben würde», sein Kopf sackte nach hinten, aber er stand noch aufrecht, und dann kam der Tod über ihn. Er starb. Er sank zu Boden, sehr langsam, langsamer, als je ein Boxer zu Boden gegangen ist, er sank wie ein großes Schiff, das Schlagseite hat und allmählich in sein Grab gleitet. Während er zu Boden glitt, hallten einem die Schläge Griffiths im Kopf wie eine schwere Axt, die in einiger Entfernung auf einen nassen Block einhackt.
Norman Mailer in «Ten Thousand Words a Minute»
Einen meiner Freunde erfüllte ein blutiger Kampf des Junior-Leichtgewichtlers Bobby Chacon mit Entsetzen – obwohl sich Chacon ironischerweise erholte und den Kampf gewann (Chacon war früher zu so etwas fähig). Ein anderer Freund, ein Schriftstellerkollege, der Boxen seit seiner Kindheit liebt, erschrak über seine eigene leidenschaftliche Anteilnahme an einem
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