Über Boxen
verfolgt, zermürbt, psychisch fertigmacht, sich dem Knockout nähert und den anderen schließlich k . o. schlägt, desto faszinierender ist das Ereignis. Könnte man in «König Lear» verhindern, dass Gloucester die Augen ausgestochen werden, indem man sich einfach weigert hinzusehen, dann läge eine gewisse Logik darin, wegzuschauen, aber das Geschehen ereignet sich trotzdem, es muss sich ereignen, und vertragsgemäß müssen wir zuschauen. Wir sind dem Opfer gegenüber verpflichtet, Zeugen zu werden, nicht seiner Niederlage, sondern des Anstands, mit dem es seine Niederlage trägt.
Den wirklichen Mut braucht man zum Verlieren, hat Floyd Patterson einmal gesagt. Gewinnen ist leicht.
Bei so spektakulären Kämpfen wie Tyson/Berbick und Tyson/Biggs (von dem mit Recht behauptet wird, es sei Tysons bisher intelligentester Kampf) kommt man auf den Gedanken, das Boxen könnte verwandt sein mit alten und nicht ganz so alten Opferriten. Das Drum und Dran des Sports und erst recht der Unterhaltung löst sich einfach in nichts auf. Wir erleben das älteste Drama der Menschheit, nämlich wie ein Mann den anderen zusammenschlägt und unterwirft, den Triumph des einen, der die Niederlage (der vorgetäuschte Tod) des anderen ist. Aber das eigentliche Thema, zumindest beim Boxen, ist nicht so sehr dieses Prügeln, sondern wie das Opfer dies aufnimmt, Sekunde um Sekunde, Runde um schreckliche Runde.
Wie sein Vorgänger Pinklon Thomas, den Tyson gekonnt durch K . o. besiegte, als er seinen Titel der World Boxing Association verteidigte, steckte Tyrell Biggs Tysons hammerharte Schläge bemerkenswert tapfer ein, insbesondere die linken Haken, sodass das eigentliche dramatische Thema des Abends Biggs’ donquichottehafte, angesichts Tysons zielstrebigem Angriff aussichtslose Entschlossenheit war. Die Faszination lag in der Frage, wie lang Biggs das aushalten würde, beziehungsweise wie lang ihn seine Betreuer das aushalten ließen. (Wer später den Kampf im Fernsehen sah, wunderte sich, dass Sugar Ray Leonard sich wiederholt fragte, warum Biggs seinen Schlachtplan «aufgegeben» habe – als ob der hilflose Boxer eine andere Wahl gehabt hätte!) Biggs’ Taktik des seitlichen Ausweichens, der schnellen Jabs, der ständigen Bewegung löste sich fast sofort in nichts auf, als er sich Tysons überlegener Willenskraft und Stärke gegenübersah; Biggs allseits bekannter Jab schnellte vor, es war ein Bleib-mir-vom-Leib-Jab, während es bei Tysons neu ausgefeiltem Jab wirklich um etwas ging, das war ein echter Schlag, mit dem Tyson in der zweiten Runde Biggs’ Oberlippe spaltete. Rückblickend erscheint der Kampf unausgewogen, wie so viele von Tysons gut dreißig Kämpfen, aber eben nur rückblickend. Am Anfang, zumindest ganz am Anfang, schien Biggs eine Chance zu haben. Es waren Tysons unermüdlicher Druck, seine hohe Konzentration, sein Wille zu verletzen, was Biggs entmutigt haben dürfte, schon bevor die Schläge ihren Tribut forderten, denn noch nie in seiner Karriere hatte Tyson so wild entschlossen gewirkt, so auf Vernichtung aus, und noch nie war es so anstrengend gewesen, ihm dabei zuzusehen. Die Müdigkeit, die Biggs bis ins Mark gekrochen sein muss und ihn wahrscheinlich Monate, vielleicht Jahre nicht mehr verlassen hat, war in der ganzen Arena zu spüren, ein Kontrapunkt zu der dynamischen Heiterkeit von Tysons Angriff. (Er ist bestimmt der älteste Einundzwanzigjährige aller Zeiten.) Tyson hat gesagt, im Ring denke er nicht, sondern handle intuitiv. Wie sein großer Vorgänger Joe Louis, aber anders als zum Beispiel Muhammad Ali erweckt er den erschreckenden Eindruck, eine Schlagmaschine zu sein, und in diesem maßlosesten seiner Kämpfe ist er eine Maschine zur Erzeugung von rasend schnellen, mitunter unerlaubten Bewegungen – Tiefschlägen, Ellenbogeneinsätzen, Nachschlagen nach dem Gong. Noch nie, zumindest nicht nach meiner begrenzten Erfahrung, hat ein Kampf so beklemmend auf die gesamte Zuschauerschaft übergegriffen … als wären wir alle im Viereck des Rings gefangen, als gäbe es keinen Ausweg, als sich durch die Seile prügeln zu lassen, wie es Biggs schließlich in der siebten Runde passierte. Und keine Möglichkeit, der Vernichtung zu entgehen, als sich zu unterwerfen.
Die Spannung, die durch einen typischen Tyson-Kampf erzeugt wird – das heißt einen, der von ihm dirigiert und beherrscht wird –, muss man erlebt haben, um sie zu verstehen. Der Kampf Tyson/Biggs schlug diesen erwartungsvollen Ton
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