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Über Boxen

Über Boxen

Titel: Über Boxen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates
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schrieb über dieses absonderliche Schwergewicht: «Er hüpft … wie ein Kieselstein übers Wasser.» Er ließ die Hände unten – was jedem Boxer im Training ausgetrieben wird. Statt den Schlägen des Gegners seitlich auszuweichen, lehnte er sich zurück – was jedem Boxer im Training ausgetrieben wird. Er täuschte an, kasperte herum und zuckte merkwürdig mit Kopf und Schultern, wenn er seitwärts dahintänzelte. Er scharrte mit den Füßen (der berühmte Ali shuffle ), um den Gegner abzulenken und die Zuschauer zum Lachen zu bringen. Garry Wills sagte, Clay «trägt den Kopf hoch und zum Teil ungeschützt, sodass er jederzeit alles sehen kann … er reißt den Kopf nur so weit zurück, dass er dem Schlag entkommt, seinen Gegner aber nie aus den Augen verliert.» Hugh McIlvanney formulierte prophetisch, der junge Boxer scheine sein Leben als ein «merkwürdiges, ritualisiertes Theaterstück» zu sehen, bei dem sein hysterisches Schwadronieren von einem Manuskript gefordert werde, «das das Schicksal schreibt». Norman Mailer schildert den jungen Boxer ausführlich, poetisch und leidenschaftlich als einen «1,80 Meter großen Papagei, der ständig kreischt, er sei der Mittelpunkt, um den sich alles drehe. ‹Komm her, du Dummkopf, versuch es doch, mich zu erwischen›, sagt er. ‹Das schaffst du nicht, weil du nicht weißt, wer ich bin. Und wo ich bin. Ich bin der menschliche Verstand, und du weißt nicht mal, ob das was Gutes oder Böses ist.›» Über Cassius Clays charakteristischen, eigenartigen Stil äußert sein Trainer Angelo Dundee in einem Interview:
    Der Kerl war nicht leicht zu führen. Man darf nicht vergessen, wie schwierig es war, diesen Jungen zu trainieren. Den hat man nicht wie einen normalen Boxer trainiert. Weil er jede Art von Lenkung abgelehnt hat, hab ich’s eben mit Ablenkung probiert. Ich habe ihm vorgegaukelt, dass er was tut, wo er gar nichts getan hat – um ihn zu dem zu bringen, was er eigentlich tun sollte. 12
    Was jeder Boxer «tun sollte», ist gewinnen, und Cassius Clay war vielleicht nur so erfinderisch oder extravagant wie nötig, um unter ständig wachsendem Applaus einen Sieg nach dem anderen einzufahren.
    Nehmen wir den ersten, schockierenden Titelkampf gegen Sonny Liston (schockierend deshalb, weil der 7:1-Außenseiter Clay so leicht gewann und der scheinbar unschlagbare Champion nach sechs Runden, noch auf dem Hocker sitzend, schmählich aufgab): Der jüngere Boxer hat seinen älteren Gegner einfach in Grund und Boden geboxt, geprügelt, getanzt, manövriert und psychisch fertiggemacht. Was für ein Umsturz in der Geschichte des Boxens an diesem 25. Februar 1964! Dieser Kampf ist faszinierend anzusehen, wie der dramatisierte Zusammenstoß zweier Generationen, zweier Epochen, zweier Kulturen; ein Märchen, in dem der kühne junge Held den Riesen entmachtet, genau wie er es vorhergesagt hat.
    Doch welchen Meinungsstreit brach Cassius Clay vom Zaun, als er verkündete, er werde seinen nichtswürdigen «Sklavennamen» in Muhammad Ali umändern; er sei Mitglied der militanten schwarzen Nation of Islam geworden (besser bekannt als Black Muslims ) und «kein Christ mehr». Bemerkenswert gelassen und mutig trat der junge, ja jungenhafte Athlet nun demonstrativ als Schwarzer auf. Wie praktisch kein anderer schwarzer Sportler von Rang wendete Ali sich von dem weißen politischen, sozialen und ökonomischen Establishment ab, das ihn miterschaffen hatte. Als er drei Jahre später noch provokanter als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen auftrat und es ablehnte, in Vietnam zu kämpfen, wurde ihm zur Strafe sein Titel aberkannt und die Boxlizenz für die Vereinigten Staaten entzogen. (Interessant, dass sich die Mehrheit der weißen Presse, sogar die «New York Times» , aber auch die Fernsehkommentatoren, die ganzen Sechzigerjahre hindurch weigerten, Alis neuen, rechtsgültigen Namen anzuerkennen, als hätte der ehemalige Cassius Clay nicht das Recht gehabt, seinen Namen in Muhammad Ali oder jeden beliebigen anderen Namen zu ändern. Womöglich war es die weltfremde Hoffnung, wenn die Medien sich weigerten, den Namen «Ali» zu übernehmen, würde sich seine Verbindung zur Nation of Islam einfach in Rauch auflösen – wenn auch nicht seine grundsätzliche Solidarität mit den Schwarzen.)
    Zwischen Februar1964 , als er zum Schwergewichtsweltmeister aufstieg, und April1967 , als er in die Verbannung geschickt wurde, hat Ali seinen Titel neunmal erfolgreich verteidigt.

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