Über Boxen
Dass die Weißen seine neue Identität vielfach missbilligten, hielt die Boxfans nicht davon ab, sich seine spektakulären Kämpfe anzusehen, darunter auch den Rückkampf gegen Sonny Liston im Mai1965 , der noch enttäuschender und für Liston noch schmachvoller endete als der erste: Diesmal ging Liston schon in der ersten Runde zu Boden, gefällt von einem für viele Kommentatoren nicht sichtbaren phantom punch , und blieb kampfunfähig liegen, selbst als der wütende Ali, kochend vor Adrenalin, ihn anschrie, er solle aufstehen und kämpfen. (Hatte Liston absichtlich verloren? Hatte er so viel Angst vor Ali, dass er nicht mehr kämpfen konnte? Wenn man sieht, wie Liston sich da am Boden wälzt, fällt einem der ähnlich zu Boden gegangene – und simulierende? – Jack Johnson ein, der 1915 in der sechsundzwanzigsten Runde eines Marathonkampfes seinen Schwergewichtstitel an die «Weiße Hoffnung» Jess Willard abgeben musste. Angelo Dundee behauptete immer, er habe den Schlag gesehen, «eine satte Rechte gegen die Schläfe, die mein Junge von ganz unten heraufgeholt hat … Liston war out. Der war definitiv out.») Liston, dem man Kontakte zur Mafia nachsagte, wurde 1970 in Las Vegas tot aufgefunden, angeblich infolge einer Überdosis von Drogen, vielleicht war er aber auch ermordet worden. Amerikas Sport noir von seiner eher erbärmlichen, düsteren Seite.
Bei anderen Titelverteidigungen jedoch hat Ali hart gekämpft und legitim gesiegt; das war großartige Boxkunst, die ihren Höhepunkt im November 1966 bei einem Kampf gegen den Veteranen Cleveland Williams erreichte, wo Ali, ständig in Bewegung, seine treffsichere Linke immer wieder auf den frustrierten Gegner zuschnellen ließ, mit Kopf und Schultern scheinbar lässig und souverän wie ein Tänzer auswich, den Ali shuffle einsetzte und Williams mehrmals mit den unterschiedlichsten Schlägen zu Boden schickte, bis er ihn dann in der dritten Runde endgültig k . o. schlug. Was für eine tödliche Anmut, welch lebensgefährliche Schönheit in Bewegung! Und wie rätselhaft bliebe Alis quecksilbriger Boxstil, wenn es keine Zeitlupe gäbe! In großen Boxkämpfen ist wie in wenigen anderen Sportarten das bloße Auge schlechterdings unfähig, die entscheidenden Bewegungen zu sehen, geschweige denn einzuordnen und zu deuten. Wenn man einen einzelnen Kampf nennen müsste, der Alis Motto «Schwebe wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene» am besten illustriert, so wäre dies der Kampf gegen Cleveland Williams. Und anders als die späteren großen Kämpfe in den Siebzigerjahren ist dieser Kampf kurz.
Bald darauf kam Alis frühe glanzvolle Karriere zu einem jähen Ende. Ohnehin zunehmend umstritten nach seinem öffentlichen Bekenntnis zur Nation of Islam (für viele Weiße und einige Schwarze eine rassistische schwarze Sekte), geriet Muhammad Ali in einen wahren Mahlstrom von Kritik, als er im April 1967 den Kriegsdienst verweigerte und, von den Medien belagert, einen der klassisch gewordenen aufrührerischen Sprüche jener aufrührerischen Zeit äußerte: «Mann, ich hab kein Problem mit diesen Vietcong!» Ein Bundesgericht in Houston, Texas, befand ihn für schuldig, «wissentlich und rechtswidrig den Wehrdienst verweigert» zu haben, und er wurde von einem älteren weißen Richter zu der Höchststrafe von fünf Jahren Gefängnis und zehntausend Dollar verurteilt. (Alis Mentor Elijah Muhammad saß nur drei Jahre, nachdem er während des Zweiten Weltkriegs seine Anhänger aufgefordert hatte, sich der Einberufung zu widersetzen.) Es folgten wiederholte Einsprüche, umfangreiche Anträge und endlose Rechtsstreitigkeiten, aber Ali saß keinen Tag im Gefängnis. Allerdings durfte er auch nicht boxen – und das in seinen besten Jahren! Ein Verlust, der wehmütig stimmt, fand Angelo Dundee: «Wir haben Muhammad Ali nie in Bestform gesehen». Nicht nur, dass die Boxing Commissions sich weigerten, den ungeschlagenen Schwergewichtschampion boxen zu lassen, das Außenministerium zog obendrein Alis Pass ein, sodass er auch im Ausland nicht kämpfen konnte, eine Repressionsmaßnahme, die an die Schikanen gegen Charlie Chaplin und Paul Robeson in den Fünfzigerjahren erinnerte.
1971 bis 1978 . Die Rückkehr. Die Superkämpfe. Als sich dann der Vietnamkrieg, eine schmerzhafte, noch immer nicht verarbeitete Episode in unserer Geschichte, seinem Ende näherte und die öffentliche Meinung eine Kehrtwende vollzog, hob der Oberste Gerichtshof 1971 das Urteil auf, und wie im
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