Über Boxen
Märchen, das immer glücklich endet, wurde Ali wieder als Boxer zugelassen. Wie ein einzelgängerischer Elefant, der an den Rand seiner Welt gedrängt wird, sich ihrer dennoch immer bewusst ist und von ihr unbehaglich beäugt wird, kehrte Ali – fast! – triumphierend zurück, um sich seinen Titel wiederzuholen. In diese sieben Jahre fallen Alis großartigste Kämpfe, und wenn man sagt, dass niemand etwas Derartiges erwartet hatte, so tut man das nicht, weil man den jungen Boxer schlechtmachen will, sondern um den älteren zu rühmen. In den heftigen, strapaziösen Kämpfen gegen Joe Frazier und George Foreman erwies sich Muhammad Ali nicht nur als begabter und vom Glück begünstigter, sondern als ganz großer Athlet. Nach dreieinhalb Jahren ohne Boxen war Ali, obwohl erst neunundzwanzig Jahre alt, merklich langsamer geworden und klug genug, seinem Gegner nicht davonzutanzen; er musste die verlorene Beweglichkeit durch schiere Technik wettmachen; er musste trainieren, Prügel einzustecken und nicht nur auszuteilen. Wir dürfen nicht vergessen: Er hat dies bewusst als Strategie eingesetzt. In einem Interview sagte Ali 1975:
Ich trainiere nicht wie andere Boxer. Zum Beispiel dürfen meine Sparringspartner etwa achtzig Prozent der Zeit versuchen, auf mich einzuprügeln. Ich halte mich zurück und krieg ein paar Fausthiebe auf Kopf und Körper, und das ist gut so: Körper und Gehirn lernen, solche Schläge auszuhalten, schließlich wird man in jedem Kampf ein paar Mal richtig schwer getroffen. In der Zeit schlag ich nicht auf meine Sparringspartner ein. Wenn ich mich total abrackere, indem ich auf sie einschlage, schlaucht mich das viel zu sehr. Wenn man so viele Kämpfe hat wie ich in letzter Zeit, müsste man eigentlich jeden Tag boxen oder irgendwas tun, aber ich kann nicht jeden Tag rumtanzen und mich so bewegen, wie ich sollte. Das lässt mein Körper nicht zu. So muss ich eben Zeit schinden.
Das klingt nach einem Rezept für eine Katastrophe, aber für Ali war es zumindest kurzzeitig auch ein Rezept für Erfolg. Es war tatsächlich der Schlachtplan für Alis restliche Karriere, die Strategie, die ihn zwei der monumentalen Kämpfe gegen Joe Frazier und den legendären Kampf gegen Foreman gewinnen ließ, bei dem wundersamerweise der jüngere, stärkere und scheinbar gefährlichere Foreman acht Runden lang bis zur völligen Erschöpfung auf Alis unnachgiebigen Körper eindrosch und am Ende dennoch den Schwergewichtstitel wieder an Ali abgeben musste. Ferdie Pacheco, Alis damaliger Ringarzt, sagte:
[Ali] entdeckte etwas, das gleichzeitig sehr gut war und sehr schlecht. Schlecht insofern, als es zu den körperlichen Schäden in seiner späteren Laufbahn führte, und gut, weil es ihm schließlich die Meisterschaft zurückbrachte. Er entdeckte, dass er Schläge wegstecken konnte.
Und Ali steckte Schläge ein, sechs Jahre lang.
Die großen, pompös vermarkteten Kämpfe in dieser Periode von Alis Karriere gehören zu den größten Sportereignissen aller Zeiten. Frazier/Ali I (1971), ein Kampf, der mehr Zuschauer anlockte als jeder andere in der Geschichte, Ali/Frazier II (1974), Ali/Frazier III (1975) und Ali/Foreman (1974) schienen sich in einer archetypischen Welt weit jenseits des üblichen Sports abzuspielen. Wenn man an diese zermürbenden Kämpfe denkt, durch die sich auch die Sieger unwiderruflich verändern, kommen einem die gefährlichen, kathartischen Höhen der griechischen und shakespeareschen Tragödien in den Sinn. (Nach den vierzehn Runden des «Thriller in Manila» gegen Frazier 1975 nannte Ali, obwohl er gesiegt hatte, diese Erfahrung «fast wie Sterben».) Kein Wunder, dass diese monumentalen Boxkämpfe das Interesse der Medien erregten und zahllose Kommentatoren in Alis Camp lockten, auch Berühmtheiten wie George Plimpton und Norman Mailer, die für den Kampf Ali/Foreman über einen Monat in Zaire blieben. (Siehe den oscarprämierten Dokumentarfilm «When We Were Kings» – «Einst waren wir Könige» und Norman Mailers stark stilisierte Berichterstattung «The Fight» – «Der Kampf».) Diese Aufmerksamkeit galt nicht nur Alis unerschütterlichem Kampfgeist, sondern auch seinem Einfallsreichtum. Denn selbst der alternde Ali war ein Metaathlet, der seine öffentlichen Auftritte als Theater begriff, nicht nur oder nicht ausschließlich als Sport. Ali war ein hervorragender Sportler, aber er war auch ein hervorragender Schauspieler, der sich den jubelnden Millionen bewusst als «Ali»
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