Über Boxen
eigenwillige Cassius Clay/Muhammad Ali auftauchten, wurde Johnson verteidigt. Der massige Liston, klotzig, finster und resistent gegen alle liberalen Versuche der Weißen, ihn zu vereinnahmen, war der wiedergeborene Jack Johnson, ein neuer, zehnmal so schwarzer Schwarzer. Ali, in den Sechzigern ebenso bösartig geschmäht wie heutzutage angehimmelt und verehrt, war ein jugendlicher Bewunderer von Johnson: «Mir hat das Jack-Johnson-Image zunehmend gefallen. Ich wollte hart sein, zäh, arrogant, der Nigger, den die Weißen nicht mochten.» 3
Ali hatte den deutlichen Vorteil, 1942 geboren zu sein, nicht 1878. Er hatte den Vorteil einer Sportlerkarriere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nicht in der ersten. Und er scheint weiße Frauen instinktiv oder prinzipiell gemieden zu haben.
[Seit Muhammad Ali im Pantheon der amerikanischen Volkshelden zur Kultfigur geworden ist, will sich niemand mehr daran erinnern, dass er in den Sechziger- und Siebzigerjahren als frisch bekehrtes Mitglied der Nation of Islam (in der weißen Presse Black Muslims ) und freimütiger Kritiker der amerikanischen Kultur bei Kämpfen regelrecht ausgebuht und in den Zeitungen beschimpft, wenn nicht gar verleumdet wurde. Fernsehkommentatoren und zahlreiche Publikationen, darunter auch die «New York Times», weigerten sich beharrlich, ihn anders zu nennen als Cassius Clay. Ali war seinerseits ein leidenschaftlicher schwarzer Rassist, für den die Unterordnung der muslimischen Frauen unter die muslimischen Männer ebenso außer Frage stand wie eine strikte Rassentrennung: «Wenn sich ein schwarzer Mann mit einer weißen Frau einlässt … muss er getötet werden … Wenn eine Muslima mit weißen Männern verkehrt, muss sie sterben. Bringt sie auch um.» (Interview im «Playboy» , November 1975)]
Unter den großen amerikanischen Schwergewichtschampions ist Jack Johnson (1878–1946) einzig in seiner Art. Obwohl seine erstaunliche und stets umstrittene Karriere bereits 1910 mit Johnsons spektakulärer Titelverteidigung gegen den weißen Hoffnungsträger und ehemaligen Champion Jim Jeffries ihren Höhepunkt erreichte, scheinen Johnsons ausbalancierter Boxstil, seine schnellen Konterstöße, die Präzision und tödliche Sparsamkeit seiner Schläge unserer Zeit näher zu sein als der gewissenhafte, unverblümte Stil von Joe Louis, Rocky Marciano, Larry Holmes, Gerry Cooney und anderen. Der geistreiche Vergleich «Schwebe wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene», gemünzt auf den jungen Cassius Clay/Muhammad Ali in seinen erstaunlichen frühen Kämpfen, eignet sich auch zur Beschreibung von Jack Johnsons grausam spielerischem Sezieren weißer Gegner wie Tommy Burns.
[Der Kampf gegen Burns wurde in der vierzehnten Runde abrupt abgebrochen (damals gingen Titelkämpfe normalerweise über zwanzig Runden), weil einige Polizisten vor Aufregung darüber, dass der schwarze Herausforderer am Gewinnen war, in den Ring kletterten. Burns sollte später protestieren, wenn die Polizei nicht dazwischengegangen wäre, «hätte ich vielleicht sogar gewonnen, denn der große Nigger wurde schon müde». 4 Heutige Titelkämpfe sind auf zwölf Runden angesetzt. Die meisten dieser Kämpfe dauern aber nur acht oder zehn Runden und werden von Ringärzten, die zu Jack Johnsons Zeit noch völlig unbekannt waren, genauestens beobachtet.]
Ali, ein virtuoser «Maulheld», wie man das zu Johnsons Zeiten nannte, der mit seinem Trommelfeuer aus Spott und Hohn den Gegner psychologisch zu schwächen suchte und den unverschämt nervtötenden Ali shuffle erfand, kann als rachsüchtige und siegreiche Inkarnation von Jack Johnson gesehen werden, denn er vervollkommnete die gefährliche Kunst, mit einem feindseligen Publikum zu spielen wie ein Stierkämpfer, der den schwerfälligen Gegner (auch den vielköpfigen Gegner Publikum) dazu bringt, die eigene Niederlage teilweise selbst herbeizuführen, ja noch zu verschlimmern. Wer mit einem Trickster in den Ring steigt, riskiert nicht nur, den Kampf zu verlieren, sondern auch die eigene Würde.
[Vergleiche Gerald Early, «The Black Intellectual and the Sport of Prizefighting» : «Gegen schwarze Gegner waren die weißen Bauerntrampel eigentlich gar keine Kämpfer; sie waren eher so etwas wie Erfüllungsgehilfen des weißen Publikums, das sehen wollte, wie Trickster für ihr ungebührliches Betragen bezahlten.» 5 Ali war der bedeutendste Trickster unter den Schwergewichtlern, und gleichzeitig hat sich – was für ein
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