Über Boxen
gerade so oft und so hart, dass Ketchel aus Mund und Nase blutete, richtete aber keinen ernsthaften Schaden an. Ein paarmal hob Johnson den kleineren Mann einfach in die Luft, sodass er wie eine übergroße Puppe mit den Füßen baumelte, und setzte ihn wieder ab, wo es ihm passte. Ein Zuschauer direkt am Ring nannte das einen «Kampf zwischen einem Dämon und einem tapferen kleinen Zwerg».
Nach einem verwegenen Versuch Ketchels, Johnson k . o. zu schlagen, fand der Kampf ein grässliches Ende, als mit einem Mal vier Zähne von Ketchel im Ring lagen oder, anderen Berichten zufolge, in Johnsons Handschuh steckten und die feindselige Menge endlich schwieg. Nach Johnsons gleichermaßen eindeutigem Sieg über den ehemaligen Schwergewichtschampion Jim Jeffries 1910 gab dieser einem Reporter gegenüber unerwartet großmütig zu: «Auch in Hochform hätte ich Johnson niemals verprügeln können. Dem würde ich auch in tausend Jahren nicht beikommen.» Meistens jedoch waren die weißen Reaktionen auf Johnsons Siege bitter, bösartig und hysterisch. Als sich nach Jeffries’ Niederlage die Nachricht von Jack Johnsons Sieg verbreitete, brachen überall in den Vereinigten Staaten Aufstände aus. «Seit der Abschaffung der Sklaverei fünfundvierzig Jahre zuvor hat kein Ereignis für das schwarze Amerika so große Bedeutung gehabt wie Johnsons Sieg», schreibt Geoffrey Ward, «und erst wieder die Ermordung von Dr. Martin Luther King jr. achtundfünfzig Jahre später hat so viel rassistische Gewalt erzeugt.» Insgesamt wurden bei den Aufständen sechsundzwanzig Menschen getötet und Hunderte verletzt, zumeist Schwarze. Im jubelnden Sog dieses erneuten Sieges von Jack Johnson kam es zu zahllosen Opfern.
«Unforgivable Blackness: The Rise and Fall of Jack Johnson» ist nicht nur ein Porträt Johnsons, sondern auch seiner turbulenten Zeit und zählt damit zu den vorbildlichen Boxerbiografien neueren Datums wie David Remnicks «King of the World» (1998), der sich mit den Aufsteigerjahren von Cassius Clay/Muhammad Ali befasst, Roger Kahns «A Flame of Pure Fire: Jack Dempsey and the Roaring ’20s» (1999) und «The Devil and Sonny Liston» (2000) von Nick Tosches, ein brillant durchgehaltener Blues in Prosa, der hervorragend zu dem kompromisslosen Protagonisten passt. (Liston gilt immer noch als der verpönte Schwergewichtschampion, der dem Untergang geweihte schwarze Mann, der sich in keine rassische, kulturelle oder religiöse Gemeinschaft zu fügen vermag. Selbst Listons Tod durch eine Überdosis Heroin – Selbstmord, Mord? – bleibt ein Rätsel.) Ward, Autor zahlreicher historischer Studien wie «A First Class Temperament: The Emergence of Franklin Roosevelt» (1989) und häufiger Mitarbeiter des Dokumentarfilmers Ken Burns bei typisch amerikanischen Themen wie Bürgerkrieg, Baseball, Jazz, Mark Twain, Elizabeth Cady Stanton und Susan B. Anthony, hat erstens Glück mit dem Gegenstand seiner Biografie (Jack Johnsons Leben, auch das außerhalb des Rings, liest sich wie ein Schelmen- und Groschenroman), und zweitens versteht er ihn klug zu präsentieren. (Johnsons eigene Erinnerungen sind wie die zahlloser Beobachter mit großer Vorsicht zu genießen.) Vernünftigerweise konzentriert sich Ward auf das Phänomen des «schwarzen Boxers» Jack Johnson, wenngleich man von einem puristischen Standpunkt aus durchaus behaupten könnte, dass Johnsons Hautfarbe mit der Eleganz und Präzision seines Boxstils nicht mehr zu tun hatte als jeder andere biografische Faktor.
«Unforgivable blackness» – wörtlich: «unverzeihliche Schwärze» – ist ein Zitat aus W . E . B. Du Bois’ Zeitschrift «The Crisis» (1914) 8 , mit dem Ward seine Biografie beginnt:
Das Boxen ist in Ungnade gefallen … Der Grund hierfür ist klar: Jack Johnson … hat beim Sparring einen Iren niedergeschlagen. Er tat dies fast ohne Grausamkeit und mit äußerster Fairness, geradezu gutmütig. Er hat seinen Gegner nicht bewusstlos geschlagen … Weder er noch seine Rasse haben den Preiskampf erfunden oder ihn besonders geschätzt. Warum überzieht dann eine Welle von Empörung das ganze Land? Weil Johnson schwarz ist. Natürlich tun manche, als erhöben sie Einwände gegen Johnsons Charakter. Aber wir bekommen auch vom weißen Amerika vorgeführt, dass Preisboxer, Ballspieler und sogar Staatsmänner wegen ihrer Eheprobleme plötzlich handlungsunfähig werden. Es läuft also doch auf seine unverzeihliche Schwärze hinaus.
(Es ist nicht klar, auf welchen
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