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Über Boxen

Über Boxen

Titel: Über Boxen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates
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Paradox! – niemand rückhaltloser dem Boxen verschrieben:
    Ali zwang einen, ganz neu über die Bewegungen eines Athleten durch Zeit und Raum nachzudenken; selbst als er schwächer wurde, führte er noch eine Kampagne gegen stilistische Normen. Als junger Mann hielt er die Hände zu tief und riss den Kopf zurück, wenn die Schläge kamen (Amateurhaft!, murrten die Traditionalisten), dabei beschleunigte er das Tempo der Schwergewichtskämpfe dermaßen, dass kaum einer mit ihm Schritt halten konnte. Der immens selbstbewusste Ali genoss die Schwierigkeiten, die sein Herumtänzeln nicht nur dem Gegner bereitete, sondern auch den Fotografen und Kameraleuten am Ring, die versuchten, ihn im Bild zu behalten. Als er älter wurde, ging er in Haltung und Bewegung zum extremen Gegenteil über: Er klebte am Seil, Kopf und Hände gesenkt, verlangsamte das Tempo in den großen Kämpfen bis zur Unerträglichkeit und zermürbte damit seine Feinde … Ali war immer ein Fachmann im Verspotten, ob er sich nun mit Spitznamen über den Stil seiner Gegner lustig machte («Kaninchen», «Krake», «Waschweib»), oder ob er seinem Kontrahenten einen übertriebenen Spiegel vorhielt … Diese Bewegungen schenkten Ali die Illusion der Allmacht, selbst wenn er schwer zu kämpfen hatte. 6 ]
    Das Unerhörte und «Unverzeihliche» an Johnsons Boxen war nicht nur, dass er seine weißen Gegner so eindeutig besiegte, sondern dass er sie öffentlich demütigte und damit seine lächelnde, offenbar tiefempfundene Verachtung für ihre weißen Auftraggeber zeigte. Wie Ali, jedoch noch verblüffender als Ali, da Johnson keine Vorgänger hatte, verwandelte er leistungsfähige, furchterregende Gegner in stolpernde Tölpel.
    [Johnson hatte keine schwarzen Trickster als Vorgänger, aber natürlich hatte er schwarze Vorgänger im eigentlichen Sinne, vor allem das Schwergewicht Peter Jackson aus der Karibik (1861–1901). Jackson war der beste schwarze Boxer seiner Zeit und hätte sehr wahrscheinlich John L. Sullivan geschlagen, wenn der weiße Sullivan, ein erklärter Rassist, ihm einen Titelkampf gewährt hätte. (Sullivan war von 1882 bis1892 , als zum Teil noch mit bloßen Händen geboxt wurde, der amtierende Prize Ring Champion .) Selbst nachdem Jackson in einem vierstündigen Kampf über einundsechzig Runden gegen James Corbett ein Unentschieden herbeigeführt hatte, lehnte Sullivan es ab, gegen ihn zu boxen. Schon früher hatte Sullivan einem anderen schwarzen Spitzenkandidaten namens George Godfrey einen Kampf verweigert. Weiße Champions bestanden gemeinhin auf strikter Rassentrennung, aus Furcht, sie könnten wie Tommy Burns im Ring gedemütigt werden. Bis zum Aufstieg von Joe Louis in den Dreißigerjahren konnte ein weißer Champion wie Jack Dempsey Kämpfe gegen Schwarze sein Leben lang vermeiden. Aus diesem Grund ist die Boxgeschichte vor Joe Louis eigentlich unvollständig. So wie Peter Jackson der «Schatten»-Champion des amtierenden Weltmeisters John L. Sullivan war, so war der Schwarze Harry Wills der «Schatten»-Champion von Jack Dempsey. Durch seine weltweit bekannt gewordene Verfolgung von Tommy Burns, während der er die weiße Presse auf seine Seite zog, zerstörte Jack Johnson das Bild vom schwarzen Boxer, der sich wie Jackson den Weißen gegenüber ehrerbietig verhielt. Johnson wird wohl gemerkt haben, dass er als «guter Neger» nicht weiter kommen würde als Jackson und Godfrey. Der «Schwarze des weißen Mannes» zu sein, war nichts für ihn. Schwarze Athleten wie Peter Jackson wurden von Schwarzenführern wie Booker T. Washington und Frederic Douglass gelobt; der schwarze Historiker James Weldon Johnson verglich Peter Jackson zu dessen Vorteil mit Jack Johnson und schrieb, Jacksons Verhalten in der Öffentlichkeit und seine Fairness im Ring hätten ihm von weißen Sportreportern das Kompliment eingetragen, er sei ein «weißer Farbiger». 7 ]
    Wie Ali setzte Johnson seine ganze Hoffnung darauf, dass sich seine Gegner in anstrengenden, aber wirkungslosen Schlägen völlig verausgabten. Und wie Ali begriff Johnson das Boxen als Theater. Geoffrey Ward beschreibt den (ungleichen) Kampf zwischen Johnson und dem weißen Mittelgewichtschampion Stanley Ketchel 1909 in Colma, Kalifornien:
    Elf Runden lang verlief der Kampf mehr oder weniger wie der Kampf gegen Burns. Johnson überragte seinen Gegner, pflückte ihm die Schläge von den Händen, lächelte, plauderte mit den Leuten auf den Ringplätzen und landete ab und zu einen Treffer,

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