Über das Haben
bei sich haben können, lässt sich mit einem Habitus-Objekt kein Passiv der beschriebenen Art bilden. Der Sprachgebrauch kennt demnach in unserer oben gebildeten Beispielreihe keinen Passiv-Satz, in dem Gäste von wem auch immer
*gehabt werden
. Ein solcher Satz wäre ungrammatisch. Auch kraft dieses Passiv-Verbotes stehen die HABEN -Sätze den SEINS -Sätzen nahe, da diese ebenfalls kein Passiv zulassen.
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Wenn also, wie besprochen, alle Sätze mit den Elementar-Verben SEIN und HABEN auf einer Inversion der sonst üblichen Verständigungsrichtung beruhen, dann zeichnen sich beide Satzbaumuster auch durch ein ähnliches Verhältnis zur Zeitstruktur aus. Durch die Rückwendung auf das Subjekt hin entsteht nämlich an der Grenze von Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis ein momentaner Stau, der sich auf die Zeitlichkeit der Verständigung, wenn auch in kleinsten Zeitmaßen, verlangsamend und verfestigend auswirkt. In der Routine des kommunikativen Handelns bleibt dieser kurze oder ultra-kurze Stau in der Regel unbemerkt. Er schafft jedoch die Voraussetzung für die bewusste und willentliche Übernahme eines Sachverhalts in das Langzeitgedächtnis. Es kann dann nämlich der momentane Stau des Zeitflusses über seine natürliche Dauer hinaus gedehnt werden, was dem Bewusstsein ermöglicht, für die Erkennbarkeit des Subjekts und dessen Zugehörigkeiten Aufmerksamkeit und Interesse aufzubringen. Das ist insbesondere dann angebracht, wenn der Sachverhalt unklar oder strittig ist. Dann bieten gerade die Sätze mit negierten Elementarverben die Gelegenheit, den Verständigungsprozess für eine kürzere oder längere Zeitspanne anzuhalten und in Rede und Gegenrede zu versuchen, eine Klärung der Situation herbeizuführen. Am Zeitaufwand darf dabei nicht allzu sehr gespart werden.
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Einen bemerkenswerten Grenzfall bildet in diesem Zusammenhang das Rechthaben und Unrechthaben. Zugrunde liegt auch hier das zweiwertige Verb HABEN mit einem eng angebundenen, weil ohne Artikel gebrauchten Habitus-Objekt, zum Beispiel: «Er|sie HAT meistens, aber nicht immer Recht/Unrecht.» Die feste Zugehörigkeit zum Subjekt, die dem Objekt damit zuerkannt wird, leuchtet hier ohne weiteres ein, da diesem HABEN -Satz ein entsprechender SEINS -Satz äquivalent ist, etwa: «Er|sie IST im Recht/im Unrecht». Gerade an diesen Beispielen ist deutlich der zusätzliche Zeitaufwand abzulesen, der nötig wird, wenn dem Subjekt eine fragliche oder strittige Zuwendung zuteil geworden ist. Dann muss der Prozess der Verständigung für eine kürzere oder längere Dauer angehalten werden, damit ein Umdenken stattfindenkann – mit möglicherweise erheblichem Zeitverbrauch für das Hin und Her des Argumentierens. Wenn allerdings ein «Rechthaber» mit im Spiel ist, dann wird dieser in seiner Verstocktheit wahrscheinlich schnell ungeduldig, und er versucht, das Sprachspiel durch seine «Rechthabereien» abzukürzen. Spätestens dann ist für die Beteiligten eine «Kunst des Streitens» gefragt, wie sie bereits von Schopenhauer als «Eristik» skizziert worden ist (vgl. Kap. 3). Schlimmstenfalls muss der Streitfall sogar vor Gericht ausgetragen werden, und das kostet außer Zeit auch noch Geld.
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HABEN ALS HILFSVERB: WAS NOCH UND WAS SCHON ZUR GEGENWART GEHÖRT
Ein altes deutsches Sprichwort besagt: «Eine Unze HABE ist besser als ein Pfund HABE GEHABT ». Recht hat hier der Volksmund, denn die eigentliche Zeit des HABENS ist die Gegenwart. Das Verb HABEN ist daher vollständig in seinem Lot, wenn es heißt: «Ich HABE eine Familie/einen Beruf/eine Lebensversicherung/ein Hobby/einen Hausarzt». Diese kleine und leicht zu verlängernde Beispielreihe zeigt zugleich, dass es schwierig oder sogar unmöglich ist, die Gegenwart des HABENS in ihrer semantischen Ausdehnung (Extension) zu bestimmen. Sie reicht, so können wir das Phänomen auch sehen, prinzipiell so weit, wie das Verb HABEN als Zubringer beliebige Habitus-Objekte an ein Subjekt binden kann. Das ist als DA-HABEN keine messbare, sondern eine von der jeweiligen Situation zeitlich und räumlich abhängige Größe, wie sie metaphorisch auch mit dem «Hof des HABENS » gemeint ist. Sogar in einem «gefüllten Augenblick» (Kairos) kann sie enthalten sein, so etwa wenn ein lange lastendes Problem plötzlich zu einer Lösung findet: «Ich HAB’S !»
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Die HABEN -Grammatik gibt sich jedoch mit der bloßen Gegenwart nicht zufrieden. Unter bestimmten Bedingungen
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