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Über das Haben

Über das Haben

Titel: Über das Haben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Weinrich
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Zeitlichkeit an diesem Verständigungswerk beteiligt.
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    Auch das Verb HABEN ist ein Elementarverb im besprochenen Sinne, doch folgt es einem anderen Satzbaumuster. Es muss daher zunächst erörtert werden, wie dieses beschaffen ist. Es ist mit einem zweiwertig-transitiven Verb gebildet. Bei diesem Satzbaumuster, das im Sprachgebrauch ebenfalls sehr beliebt ist, kann das Prädikat außer dem Subjekt noch eine zweite Handlungsrolle bei sich haben (dasist mit Zweiwertigkeit gemeint), und zwar ein Akkusativ-Objekt (das ist mit Transitivität gemeint), zum Beispiel: «Wir [Subjekt] erwarten/begrüßen/bewirten/verabschieden [Prädikate] unsere Gäste [Objekt im Akkusativ].» In einem solchen Satz mit zweiwertig-transitivem Verb wird die Aufmerksamkeit des Hörers oder Lesers vom Subjekt weg «hinübergelenkt» (vgl. lat. t
rans-itus
für «Hinübergang») zum Objekt, das dadurch für das jeweilige Prädikat erschlossen wird.
    Diesem Satzbaumuster folgen der Form nach, aber auch nur der Form nach, die HABEN -Sätze. Auch sie also, die mit dem ebenfalls zweiwertigen Verb HABEN gebildet sind, verlangen neben dem Subjekt als weitere Handlungsrolle ein Objekt im Akkusativ. Doch besteht ein gravierender Unterschied zu den normalen Sätzen dieses Satzbaumusters. In der Tat hat das Elementarverb HABEN nur zum Schein ein Akkusativ-Objekt bei sich. Inhaltlich («semantisch») handelt es sich bei dem Objekt des Elementarverbs HABEN um ein Habitus-Objekt (nach lat.
habitus
für die «Gewohnheit des Habens»). Bei einem solchen Objekt wird das Verständnis nicht auf das Objekt hin gelenkt, sondern vielmehr in der Gegenrichtung («retro-transitiv») zum Subjekt zurückgelenkt. Die HABEN -Prädikation beruht folglich ebenso wie die SEINS -Prädikation auf einer Inversion. Doch wird das jeweilige Subjekt durch HABEN als Zubringerwort nicht mit neuen Merkmalen angereichert, sondern es wird stattdessen von ZUGEHÖRIGEN Personen oder Sachen her charakterisiert. Die Herstellung und Feststellung von zugehörigkeit (Pertinenz) ist demnach die Grundbedeutung des Verbs HABEN ,[ 2 ] so wie die ERKENNBARKEIT (Identität) die Grundbedeutung des Verbs SEIN ist. Doch ist der Rückbezug auf das Subjekt beiden Elementarverben gemeinsam.
    Alle HABEN -Sätze antworten demnach auf die Frage: Wer oder was gehört zu wem oder zu was? Ein Beispiel: «Wir [Subjekt] HABEN [Prädikat] Gäste [Habitus-Objekt]». Was hier als Zugehörigkeit oder Pertinenz zum Ausdruck gebracht wird, betrifft nicht eigentlich «die Gäste» (die als bekannt vorausgesetzt werden), sondern «uns», die hier zu «Gastgebern» erklärt werden, insofern die Gäste nunmehr fest zu uns «dazugehören». Das bestätigt auch noch einmal die enge Verwandtschaft, die zwischen den Sätzen des SEINS und denen des HABENS besteht. In das SEIN übersetzt, könnte das Beispiel jalauten: «Wir [Subjekt] SIND [Prädikat] die Gastgeber [Prädikats-Nomen]». Somit können alle HABEN -Sätze, wenn man so will, als verkappte SEINS -Sätze angesehen werden.
    *
    Die strukturelle Verwandtschaft, die zwischen den beiden elementaren Satzbaumustern besteht, findet auch darin eine Bestätigung, dass beide von der Bildung eines Passivs ausgeschlossen sind. Wir werfen daher, was die HABEN -Sätze betrifft, noch einmal einen Blick auf die «gewöhnlichen» Sätze, in denen ein zweiwertig-transitives Verb ein Akkusativ-Objekt bei sich hat. Für alle Sätze dieses Satzbaumusters ist bekannt, dass sie leicht aus dem Aktiv ins Passiv umgewandelt werden können, wobei das Objekt, nun im Nominativ, die Subjekt-Rolle übernimmt und das alte aktive Subjekt verdrängt. Die oben angeführte Beispielreihe lautet nun: «Die Gäste [das aktive Objekt nun als Subjekt] werden erwartet/begrüßt/bewirtet/unterhalten/verabschiedet [Prädikate im Passiv]». Fakultativ kann dabei das alte Subjekt des Aktiv-Satzes, wenn es nicht ganz in Vergessenheit geraten soll, als Präpositional-Junktion («von uns») beiläufig in den Passiv-Satz eingefügt werden. Das ist jedoch nur in seltenen Fällen angebracht, da ein Passiv-Satz seinen besonderen Wert gerade darin hat, dass er einen urheberlosen und insofern objektiven Eindruck macht – weshalb sich dieses Passiv auch in administrativen und technisch-wissenschaftlichen Verlautbarungen überaus beliebt machen konnte.
    Ganz anders verhalten sich in dieser Hinsicht die HABEN -Sätze. Obwohl sie den Sätzen mit zweiwertig-transitivem Verb formal darin gleichen, dass sie ein Akkusativ-Objekt

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